: Eduard Keyserling
: Klaus Gräbner, Horst Lauinger
: Kostbarkeiten des Lebens - Gesammelte Feuilletons und Prosa Schwabinger Ausgabe, Band 3
: Manesse
: 9783641270438
: Schwabinger Ausgabe
: 1
: CHF 20.50
:
: Essays, Feuilleton, Literaturkritik, Interviews
: German
: 912
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Er schrieb über die Unentbehrlichkeit der Kultur, über himmlische und irdische Liebe, über Interieurs, großen Stil und über die Kostbarkeiten des Lebens. Er ergründete die Kunst des Traums, dramatisches und episches Sterben, die Lichtmalereien der Avantgarde und die Psychologie des Komforts. Aus seinen Kunstkritiken, Feuilletons und Briefen spricht - nicht minder wie aus seinem erzählerischen Werk - ein Mensch von hoher Bildung und Sinnesart.

Eduard von Keyserling ist als Feuilletonist und Kritiker nicht annähernd so bekannt, wie er es verdient. Daraus resultiert das Glück, ihn mit Band 3 der großen Schwabinger Werkausgabe nun als vielseitig interessierten Kunst- und Literaturliebhaber, Theatergänger und Zeitdiagnostiker entdecken zu können. In seinen nichtliterarischen Prosatexten spiegeln sich die Dekors der Prinzregentenzeit, das bunt schillernde Geistes- und Kulturleben um 1900, Impressionismus, Symbolismus, Jugendstil und die Feuergarben der Avantgarde. Ob er die Goldgeschmeide Carl Strathmanns würdigt, die gleißenden Farbenspiele des frühen Kandinsky oder Alfred Kubins 'Kalligraphie des Gespenstischen', Keyserlings ästhetisches Sensorium für die Modernen steht dem für die alten Meister - allen voran Tizian und Dürer - in nichts nach. Die Kritiken, selbst oft kleine Prosakunststücke, zielen weit übers bloß Ästhetische hinaus ins Seelenkundliche, Weltanschauliche, mitunter Politische. Mit luzidem Blick zeichnen sie die geistige Physiognomik einer bewegten Epoche.

Neben den Feuilletons enthält dieser mit 35 Bildtafeln bestückte Band noch weitere Funde: fünf verschollene Erzählungen Keyserlings, ein umfassendes Korpus an Briefen sowie die erste ausführliche Chronik zu Leben und Werk. Dank der Fülle an erstmals zusammengetragenen Selbst- und Fremdzeugnissen nimmt der Schriftsteller, der sich zeitlebens in nobler Diskretion übte, auch als Privat- und Gesellschaftsmensch Konturen an.

Eduard von Keyserling (1855-1918) stammt aus altem baltischem Geschlecht, studierte Kunst und Jura und begann schon früh mit dem Schreiben. Als freier Schriftsteller lebte er zunächst in Wien, später in Italien und München, wo er der Schwabinger Boheme angehörte. Durch eine Krankheit erblindet, vereinsamte Keyserling in den letzten Lebensjahren zunehmend.

Wolzogen-Konzerte


München, Anfang Februar.

Als Ernst von Wolzogen die Überbrettelära eröffnete, kam er, so schien es, damit einer temporären Erkrankung der Genussfähigkeit unseres Theaterpublikums entgegen, einer Art Kurzatmigkeit im Interesse an dramatischer Kunst. Auf den großen Bühnen herrschte der Einakter, auf den kleinen die Brettelkunst. Das Publikum verachtete feste konsistente Speise. Wie einem Magenkranken musste ihm alles in gehacktem Zustande gereicht werden. Das Ragout war Parole. Sollte das eine Kur sein, so schlug sie gut an. Der Kranke verspürte bald Widerwillen gegen die Krankenkost, der Theaterappetit wuchs, die längsten Dramen wurden wieder gut vertragen. An diesem Phänomen lag es vielleicht auch, dass das, was Wolzogen gewollt hatte, ihm unter der Hand zu etwas anderem wurde. Als er hiersein erstes «Wolzogen-Konzert» mit einer einleitenden Rede eröffnete, führte er ungefähr Folgendes aus: Die schlechten Nachahmungen haben ihm sein Überbrettel verleidet; er will damit nichts mehr zu tun haben. Dennoch erscheint ihm einiges an der Überbrettelidee der Erhaltung wert und geeignet, unser Konzertwesen aufzufrischen. Dazu gehört eine größere Abwechselung im Programm, welche die «feierliche Eintönigkeit» unserer Konzerte beleben würde, dann ein stärkeres Betonen des Mimischen.

Was uns geboten wurde, entsprach diesem Programm: Lieder, Geigenspiel, Rezitation, schöne Frauen, hübsche Kleider. Es gab einen großen, warmen Erfolg, in dessen Mittelpunkt die anmutige Gestalt derFrau von Wolzogen stand.

Solch eine hübsche Spezialität können wir uns wohl gefallen lassen. Wenn aber die hier angewandte Methode den Anspruch erhebt, für unser Konzertwesen überhaupt empfehlenswert zu sein, so scheint mir das zweifelhaft. Die feierliche Eintönigkeit eines Chopinabends von Stavenhagen oder eines Hugo Wolf-Abends von Anton Dressler würden wir uns um keinen Preis durch heitere Abwechslung stören lassen. Ebenso gefährlich erscheint mir das Betonen des Mimischen bei Liedervorträgen. Lyrische Dichtung und lyrische Musik sollen körperlos sein. Die Stimmen des Sängers und seine Empfindung sind das Instrument, welches uns den Gehalt des Kunstwerkes übermittelt. Die mimische Geste bindet das ausgedrückte Gefühl an die Person des Sängers. Es sind nicht mehr Leid und Freude, die namenlos zu uns herüberflattern und unser werden, sondern Leid und Freude des Herrn Soundso. Auch die Ballade verliert durch Mimik das Ferne, Verschleierte; sie wird zu deutlich, kommt uns zu nah und wird eng dadurch. Wo ein kleines Lied dazu dient, die Persönlichkeit einer anmutigen Sängerin zur Geltung zu bringen, da ist die Geste willkommen. Sonst wird es, hoffe ich, bei dem alten Brauche bleiben, der uns gestattet, im Genuss des Liedes den Sänger zu vergessen.

Unsere Jüngsten


München, im März.

In der Hand der Zwanzigjährigen liegt die nächste Zukunft, auch die unserer Literatur; es ist daher nicht unwichtig, ein wenig in die Werkstatt der jungen Herren hineinzuschauen.

Die Herren sind eifrig bei der Arbeit. Das literarische Leben unserer Jüngsten ist hier in München sehr rege. Was die literarische Jugend von heute von der früheren unterscheidet, ist, dass die jungen Leute heute gedruckt werden. Sie werden alle gedruckt. Der schüchterne poetische Versuch des Zwanzigjährigen, der keusch im Geheimfach des Schreibtisches verschlossen wurde, ist längst eine Fabel geworden. Unsere jungen Leute beginnen ihre Laufbahn und ihre Entwicklung resolut vor der Öffentlichkeit. Sie haben Vereine, in denen ihre Verse, Dramen, Novellen einem großen Publikum vorgetragen werden, die Presse bespricht sie, Zeits