: Gundula Rath-Bingart
: Geliebte Ronja Unser Wunschkind hat das Down Syndrom
: Kösel
: 9783641256487
: 1
: CHF 12.30
:
: Politik, Gesellschaft, Wirtschaft
: German
: 224
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Was ist denn schon normal?
Ronja ist ein absolutes Wunschkind und ganz wunderbar. Sie hat bezaubernde blonde Locken, das süßeste Lachen - und das Downsyndrom. In der 26. Schwangerschaftswoche erfuhren ihre Eltern, das Ronja mit einem Chromosom zu viel und einem löchrigen Herzen auf die Welt kommen würde. Alle Vorstellungen und Erwartungen, die sie für ihr Leben mit Baby hatten, wurden auf den Kopf gestellt. Trotzdem war schnell klar: Ronja wird geliebt und ist willkommen, genau wie sie ist.
Mit großer Offenheit und voller Optimismus schreibt Gundula Rath-Bingart über die ersten zwei Jahre mit ihrer besonderen kleinen Tochter. Und sie stellt fest: Ihr Alltag ist meistens genauso wundervoll und wenig normal wie bei vielen anderen jungen Eltern auch. Schwierig wird es vor allem dann, wenn die Bürokratie unsinnige Hürden aufstellt oder Vorurteile anderer die Eltern behinderter Kinder in eine ungewollte Rechtfertigungshaltung drängen. Dagegen wehrt Ronjas Mutter sich selbstbewusst. Was ist schließlich schon normal? Und wer definiert das?
Dieses Buch will anderen Eltern Mut machen. Ein moderner, positiver Blick auf das Eltern- und Muttersein, Pränataldiagnostik und unseren Umgang mit Menschen mit Behinderung.

Gundula Rath-Bingart, geb. 1985, beschäftigte sich schon während ihres Studiums der Philosophie, Geschichte und Islamwissenschaft intensiv mit den damaligen Debatten zur Präimplantationsdiagnostik. Sie lebt mit ihrem Partner in Bayreuth, 2017 wurde sie schwanger. Nachdem sie erfahren hatte, dass ihre Tochter mit einer Trisomie 21 und einem Herzfehler auf die Welt kommen würde, begann Gundula Rath-Bingart das Blog 'Geliebte Ronja' zu schreiben.

5. April 2019

Ronja: 10 Monate alt

»Wer betreut denn Ihre doch noch sehr kleine Tochter?« – warum Gleichberechtigung genau so lange gilt, bis man ein Kind hat

An drei von fünf Tagen fahre ich mit einem Glücksgefühl zur Arbeit. Das ist ein sehr guter Schnitt, der sich vermutlich nicht halten lässt. Die Anfangseuphorie vergeht immer, doch noch genieße ich sie. Ich kann das Fahrrad benutzen. Innerhalb der zehn Minuten, die ich brauche, bis ich an meinem Arbeitsplatz an der Uni bin, überkommt es mich dann plötzlich. Das Glück. Es springt mich an und lässt mich schaudern. Die beiden wichtigsten und liebsten Menschen in meinem Leben haben mich gerade verabschiedet. Sie werden auf mich warten und von mir erzählen, bis ich nach Hause komme. Ab halb fünf werden sie unruhig werden und immer mal aus dem Fenster schauen. Wegen mir. Ich weiß das, weil ich das Gleiche getan habe, als ich mit Ronja zu Hause war. Nun passt Matthias auf sie auf. Ich habe noch den Geruch von Baby in der Nase und das Gefühl, wie sie sich an mich gekuschelt hat beim morgendlichen Stillen. Damit fahre ich nun zu den Erwachsenen. Ich darf Erwachsenengespräche führen. Ich darf Dinge lesen, diskutieren und mich weiterbilden. Darf schreiben und Projekte koordinieren. Und bei all dem weiß ich mein Kind gut versorgt. Bin super flexibel. Kann auch mal länger machen und werde dann von Mann und Kind begrüßt. Ich werde gebraucht, geliebt und gefordert in all meinen Facetten. Intellektuell und emotional. Ich habe alles, was ich will.

Ich habe das, was sonst die Männer haben. Das, was der Grund ist, warum es nur für die Karriere von Frauen ein Problem ist, wenn sie Kinder bekommen, während Männer beruflich sogar davon profitieren, Vater zu werden: jemand, der einem den Rücken frei hält. Die meisten Mütter, die arbeiten, haben das nicht. Väter eben schon. Dass ich alles habe, das hat sich so ergeben. Ich habe auch einiges dazu beigetragen. Genau wie Ronja. Und natürlich Matthias. Aber es hätte auch anders kommen können.

Es ist alles andere als selbstverständlich, dass Männer mehr als die üblichen beiden Monate in Elternzeit gehen, auch wenn alle gern so tun, als sei es das. Es ist alles andere als selbstverständlich, dass man einer jungen Mutter einen anspruchsvollen Vollzeitjob zutraut, ohne ihr die Fähigkeit hierzu abzusprechen, weil sie sich kürzlich fortgepflanzt hat.

Es war weder geplant noch absehbar, dass ich so schnell wieder arbeiten würde. Es gab Stimmen, die mir ein völliges Ende meiner Berufstätigkeit vorausgesagt haben. »Mit einem behinderten Kind … das schafft man nicht.« Doch, man schafft es. Wenn man will. Und wenn die Rahmenbedingungen passen.

Solange ich keine Mutter war, habe ich mich jederzeit voll gleichberechtigt gefühlt. Habe nicht verstanden, worüber eigentlich so viel geredet wird. Wofür man kämpfen sollte. Was überhaupt gemeint ist, wenn es um Gleichberechtigung geht. Es ist nicht immer alles leicht, aber das ist es für niemanden, habe ich gedacht. Man muss sich manchmal durchsetzen, aber Leistung zählt. Im Großen und Ganzen. Davon bin ich ausgegangen.

Dann habe ich erstens ein Kind bekommen und zweitens ein Kind mit einer Behinderung. Und fühlte mich von jetzt auf gleich 70 Jahre in die Vergangenheit zurückkatapultiert. Über zwei Jahrzehnte war ich selbst für mein Leben zuständig, und Menschen haben das akzeptiert. Über zwei Jahrzehnte hat man mir zugetraut, eigene, richtige Entscheidungen zu treffen. Wer für falsch hielt, wie ich lebte, hat respektvoll geschwiegen. Dann war da plötzlich ein Baby. Und niemand schweigt mehr. Alle wissen, was ich tun muss, denken muss, lassen sollte. Alte Frauen, mir völlig unbekannt, bemängeln, dass mein Kind keine Mütze trägt. Im Hochsommer. Sorgen sich, das Baby könnte einen Sonnenbrand bekommen