Einführung
Ein Blick in die Blackbox der medizinischen Wunder
Man kann ja auf mancherlei Art betrogen werden; man kann dadurch betrogen werden, dass man das Unwahre glaubt, aber man wird doch wohl auch dadurch betrogen, dass man das Wahre nicht glaubt.
Søren Kierkegaard
Im Jahr 2008 hatte es den Anschein, als würde Claire Hasers weiterer Weg problemlos verlaufen. Die 63-Jährige hatte sich in den Rhythmus ihres Lebens eingefunden und meisterte dessen Höhen und Tiefen mühelos. Ihre Zukunft entfaltete sich wie geplant: In wenigen Jahren würden sie und ihr Mann in den Ruhestand gehen. Den erwachsenen Kindern ging es gut, und sie hatten eine Schar gesunder Enkel. Die meiste Zeit ihres Lebens hatten sie in der Stadt Portland imUS-Bundesstaat Oregon mit ihrem sanften Regen, ihren üppig grünen Parks und ihren Backsteingebäuden verbracht. Und die meiste Zeit ihres Berufslebens war Claire im Gesundheitswesen in der Verwaltung tätig gewesen und hatte den lieben langen Tag unter riesigen Bergen von Schreibkram begraben im Neonlicht am Schreibtisch gesessen.
Claire und ihr Mann fanden Portland entzückend, aber sie träumten davon, ihren Ruhestand auf Hawaii zu verbringen. Jahrelang hatten sie geplant und gespart, und bald sollte es losgehen. Doch dann geriet Claires behagliches, normales Leben allmählich aus den Fugen. Unklare, aber beunruhigende Symptome trieben sie zum Arzt: Ihr wurde immer öfter übel, und stechende Schmerzen fuhren ihr in den Bauch. Ihr Arzt riet besorgt zu einer Computertomografie (CT). Claire lag mit über den Kopf gestreckten Armen auf der Liege desCT-Geräts und versuchte, normal zu atmen. Sie hoffte, das starke Magnetfeld, durch das ihr Körper gerade geschoben wurde, würde nichts Auffälliges zutage fördern. Doch die Untersuchung offenbarte eine etwa zwei Zentimeter große Geschwulst an der Bauchspeicheldrüse. Eine Biopsie machte auch ihre letzten Hoffnungen zunichte: Die Geschwulst war bösartig; es war Krebs. Die Diagnose lautete Adenokarzinom des Pankreas – eine grausame, unheilbare Form von Bauchspeicheldrüsenkrebs.
In unserer Kultur ist »Krebs« ein Reizwort, ein Schreckgespenst und mehr als viele andere Krankheiten mit der Vorstellung von Verlust und Tod verbunden. In Wahrheit jedoch unterscheiden sich Krebserkrankungen bezüglich ihrer Heilungsmöglichkeiten und Remissionswahrscheinlichkeit. Einige Krebsarten sind nicht tödlich, und in diesen Fällen sterben die Betroffenen nichtan Krebs, sondernmit dem Krebs, der sich viele Jahre lang unauffällig verhalten kann, bis sie durch etwas anderes zu Tode kommen. Manche Krebsarten wachsen langsam, aber stetig; bei anderen schwankt die Größe ein paar Jahre lang. Viele Krebsarten sind unbehandelt tödlich, sprechen aber hervorragend auf eine Behandlung an – ob Operation, Chemo- oder Strahlentherapie. Bestimmte Krebsarten verschwinden sogar von allein, andere reagieren auf keine Therapie und werden ausschließlich palliativ versorgt in der Hoffnung, die Symptome zu lindern. Und viele unterschiedlich schwerwiegende Krebsarten fallen zwischen alle diese Kategorien.
Über Claires Krebserkrankung ist Folgendes bekannt: Das Pankreaskarzinom ist die tödlichste Form des Bauchspeicheldrüsenkrebses. Die Erkrankung schreitet schnell voran und endet mit einem grausamen Tod. Jedes Jahr wird sie bei ungefähr 45000 Menschen in den Vereinigten Staaten und doppelt so vielen in Europa diagnostiziert. Die meisten von ihnen sterben innerhalb des ersten Jahres. Das Pankreaskarzinom steht sowohl bei Männern als auch bei Frauen an vierter Stelle der tödlichen Krebserkrankungen und wird vermutlich bald auf den dritten Platz vorrücken.
Diese Diagnose ist ein Todesurteil. Die Frage ist