: Susanne Schnieder, Carsten Tergast
: Die Herrschaft der Rotzlöffel Wie wir die Verhältnisse im Kindergarten wieder vom Kopf auf die Füße stellen
: ecoWing
: 9783711052865
: 1
: CHF 14,90
:
: Gesellschaft
: German
: 208
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Kinderbetreuung in der Krise: Wer erzieht hier wen? Das System der Kindergärten und Kindertagesstätten ist in eine Schieflage geraten: zu wenige Erzieher, zu große Gruppen von Kindern, belastende Rahmenbedingungen für Kita-Personal und Eltern. Susanne Schnieder und Carsten Tergast schlagen Alarm, denn der aktuelle Zustand vieler Kitas und Kindergärten gefährdet die Zukunft der Gesellschaft. Das Autorenduo nimmt in diesem Sachbuch die Bildungspolitik in die Verantwortung und gibt konkrete Handlungsvorschläge, was sich ändern muss - und zwar schnell. - Wenn die Krise zum Normalbetrieb wird: verhaltensauffällige Kinder, Helikopter-Eltern und Erzieher am Rande des Burnout - Lösungen gefragt: wie sich die Familienpolitik aus der Affäre zieht, anstatt zu handeln - Von der Kindergartentante zur Konfliktmanagerin: Welche Kompetenzen müssen Erzieher heute erfüllen? - Aus dem Leben gegriffen: mit vielen Fallbeispielen aus gesammelten Zuschriften von BerufskollegenInnen - Wo beginnen: so können Erzieher den akuten Handlungsbedarf für ihre Einrichtung ermitteln und einfordern Streitthema frühkindliche Bildung: Eltern, Erzieher, Politiker - wer hat recht? Die Anspruchshaltung gegenüber Kita und Kindergarten ist aus dem Ruder gelaufen. Statt einer Ergänzung der elterlichen Erziehung wird eine Rundumversorgung der Kinder erwartet. Das Outsourcing von Erziehungsleistung ist in vollem Gange. Gleichzeitig existiert ein verdrehtes Bild von Kindheit: Kinder sollen nicht mehr spielen, sondern werden zu Experten auf unterschiedlichsten Gebieten ausgebildet, während jede Intervention der Erzieher dem Verdacht unterliegt, das Kind in seiner Freiheit zu beschneiden. Susanne Schnieder und Carsten Tergast haben ein leidenschaftliches Plädoyer für ein Umdenken in der frühkindlichen Erziehung verfasst. Es ist eine Streitschrift, die mehr als Systemkritik erreichen will. Die Autoren zeigen neue Perspektiven auf: für ein entspanntes Familienleben, eine glückliche Kindheit und mehr Wertschätzung für den Beruf des Erziehers!

Susanne Schnieder, Jahrgang 1962, ist seit vielen Jahren Leiterin einer Kindertagesstätte. Darüber hinaus arbeitet sie als Tanzpädagogin, Systemischer Gesundheitscoach und Referentin in der Erwachsenenbildung. Sie lebt bei Hamburg und hat zwei Kinder. Carsten Tergast, geboren 1973, ist freier Journalist und schreibt regelmäßig über Aspekte der Erziehung von Kindern, unter anderem als CoAutor der Erfolgsbücher von Michael Winterhoff. Der Vater einer Tochter und eines Sohnes lebt in Ostfriesland.

Von der Kindergartentante zur Konfliktmanagerin


Picknick, natürlich in Vor-Corona-Zeiten, im Kindergarten »Kunterbunt«. Es ist warm, im Außenbereich ist auf einem der großen Tische ein schön anzuschauendes Buffet mit vielen leckeren Speisen aufgebaut. Von diesem Buffet holen sich die Kinder kleine Portionen Obst und Salat, Frikadellen oder auch Wackelpudding. Als jeder versorgt ist, setzen sich alle in einen Kreis und beginnen zu essen.

Alle? Nein, da ist ja noch Lukas. Lukas hat keine Lust auf Essen oder im Kreis sitzen, dafür hat er auf etwas anderes Lust. Lukas nämlich hat Lust, allen anderen den Spaß am Picknick zu verderben. Urplötzlich rennt er um alle Kinder und Erzieher herum, klaubt immer wieder Sand vom Boden auf und beschmeißt in einem irren Tempo die gut gefüllten Teller damit. Sand auf den Frikadellen, Sand im Salat, Sand in Mayonnaise und Ketchup. Sand, Sand, überall. Entsetzte Gesichter der anderen Kinder, einige weinen, kein Essen blieb verschont, sodass 24 Kinder nun mit langen Gesichtern vor ihren sandigen Tellern sitzen.

Die Erzieher, die gerade noch das Buffet auffüllten, konnten nur noch verhindern, dass Lukas sich auch diesem noch widmet. Für die Teller der Kinder war es zu spät, da alles in einer Riesengeschwindigkeit ablief.

Natürlich war dieser Vorfall nicht der erste seiner Art, sondern lediglich ein kleiner Höhepunkt in der Geschichte von Lukas, die sich in ähnlicher Form über die kompletten drei Kindergartenjahre erstreckt. Alltagsregeln waren für den Jungen in all den Jahren nur Schall und Rauch. Der betreuende Kinderarzt bedachte das Kind von Beginn an mit der Bezeichnung »verhaltensoriginell«, und die häusliche Situation war für die alleinerziehende Mutter schwierig.

Natürlich bemühten sich die Erzieher, Lukas gerecht zu werden, mussten dabei aber immer auch die Bedürfnisse der anderen Kinder in der Gruppe im Blick behalten. Zum Glück hatte der Junge nach einiger Zeit engeren Kontakt zu einer der erfahrenen Erzieher bekommen, bezeichnenderweise diejenige, derjenige, der als konsequentester Einrichtung galt. Er war der Einzige, der zu Lukas eine verlässliche Bindung aufbauen konnte, durch die er Authentizität und Orientierung erfuhr. Wann immer es möglich war, suchte er seine Nähe, nahm seine Hand und testete an ihm seine Grenzen aus. Besonders auffällig war dabei der Unterschied zu Lukas’ Mutter. Während diese immer wieder sein Verhalten entschuldigte, übergroßes Verständnis zeigte und Schuld grundsätzlich bei anderen suchte, spiegelte sein Bezugserzieher dem Jungen stets klar und deutlich sein Handeln und damit auch sein Fehlverhalten.

Kurz vor dem Sandsturm beim Picknick fiel dieser Erzieher mit einer längeren Krankheit aus. Damit war die Bahn frei für Lukas. Kein Tag verging ohne Vorfall, mal zerstörte er das gesamte Frühstücksbuffet, mal drückte er den Kopf eines anderen Kindes so fest in den Sand und setzte sich anschließend auf den Kopf, dass dieses Kind fast keine Luft mehr bekam. Auf diese Vorfälle angesprochen, fand seine Mutter Entschuldigung um Entschuldigung. Mal war ihr Sohn geärgert worden, mal hatte er schlecht geschlafen, und außerdem fände er einen der Erzieher blöd, weil er nicht nett zu ihm sei. Selbstreflexion und ein Blick auf den angerichteten Schaden? Fehlanzeige.