: Pajtim Statovci
: Grenzgänge Roman
: Luchterhand Literaturverlag
: 9783641258214
: 1
: CHF 15,20
:
: Erzählende Literatur
: German
: 320
: DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Von Anfang an hasst er das, was er nicht sein kann. Im politischen Chaos Tiranas aufgewachsen, treibt Bujar nach dem Tod des Vaters durch eine Welt sich auflösender Grenzen: Auf seiner Odyssee quer durch Europa über New York bis nach Helsinki geht es ihm irgendwann nicht mehr um das Ankommen. Es geht ihm um die Freiheit, alles zu sein. Bujar ist Mann, ist Frau. Er liebt Frauen, er liebt Männer. Bujar verwandelt sich, er wird verletzt und verstoßen. Nur im Erzählen scheint er einen Ort zu finden, an dem alles gleichzeitig sein darf: in einer Geschichte, die keine Grenzen kennt, überbordet und ausufert. In einer Geschichte von Liebe und Verlangen, von den Möglichkeiten der Scham, des Schmerzes und des Sterbens - mythenreich, brutal und von intensiver Schönheit.

Pajtim Statovci, geboren 1990, ist ein finnisch-kosovarischer Schriftsteller. Mit zwei Jahren zog er mit den albanischen Eltern aus dem Kosovo nach Finnland. Er lebt in Helsinki und hat Vergleichende Literaturwissenschaft studiert. Statovci wird als Shootingstar und großer europäischer Autor von der internationalen Kritik euphorisch gefeiert, sein Werk ist vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem »Helsinki Writer of the Year«-Preis. Derzeit arbeitet er als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität von Helsinki.

Die Rippe Gottes


Rom 1998

Wenn ich über meinen Tod nachdenke, ist der Moment, in dem ich sterbe, immer gleich. Ich trage ein einfarbiges Hemd mit Knöpfen und eine dazu passende Hose aus dünnem Stoff, und das Sterben vollzieht sich so leicht, als ginge ich einen sanft abfallenden Hang hinab. Es passiert an einem frühen Morgen, und ich bin glücklich, ich empfinde die gleiche Zufriedenheit und Ruhe wie während der ersten Bissen meines Lieblingsgerichts. Bestimmte Menschen stehen um mich herum, ich kenne sie noch nicht, aber eines Tages werde ich sie kennen, und ich befinde mich an einem bestimmten Ort, ich liege in einem Einzelzimmer in einem Krankenhausbett, niemand stirbt neben mir, und draußen kommt der Tag langsam auf die Beine wie ein von Rheuma geplagter Greis. Meine Lieben sagen bestimmte Sätze zu mir, eine bestimmte Berührung auf meiner Hand und ein Kuss auf meiner Wange fühlen sich nach dem Zuhause an, das ich um mich herum errichtet habe wie ein Heiligtum.

Dann geben meine Organe auf, eines nach dem anderen, und meine Körperfunktionen setzen aus: Mein Gehirn sendet keine Befehle mehr an meinen Körper, der Fluss meines Blutes ist unterbrochen, mein Herz bleibt für immer stehen, und es gibt mich einfach nicht mehr. Wo einmal mein Körper war, sind jetzt nur Haut und Gewebe, unter dem Gewebe sind Flüssigkeiten und Knochen und bedeutungslose Organe.

Ich bin ein zweiundzwanzig Jahre alter Mann, der sich manchmal benimmt wie meine Vorstellung von einem Mann: Mein Name ist Anton oder Adam oder Gideon, je nachdem, was mein Ohr gerade lieber mag. Ich bin Franzose oder Deutscher oder Grieche, aber niemals Albaner, und ich gehe auf eine ganz bestimmte Weise, so wie mein Vater mich zu gehen gelehrt hat, nach seinem Vorbild, gleichmäßig und breitbeinig ausschreitend, mir der Haltung meines Brustkorbs und meiner Schultern bewusst, meine Kiefer sind angespannt, als würde ich mich versichern, dass niemand mein Revier betritt. Und dann brennt die Frau in mir auf dem Scheiterhaufen. Wenn mir der Kellner im Café oder im Restaurant die Rechnung bringt und mich nicht fragt, warum ich allein esse, schwelt die Frau in mir. Wenn ich etwas an meinem Essen auszusetzen habe und es in die Küche zurückgehen lasse, oder wenn ich in irgendein Geschäft gehe und die Verkäuferinnen sofort hilfsbereit auf mich zukommen, bricht die Frau in mir erneut in Flammen aus und wird Teil des Kontinuums, das seit dem Moment besteht, in dem man uns erzählte, wie die Frau aus der Rippe des Mannes entstand, nicht als Mann, sondern neben dem Mann, an dessen linker Seite.

Manchmal bin ich eine zweiundzwanzig Jahre alte Frau, die sich benimmt, wie es ihr gefällt. Ich bin Amina oder Anastasia, der Name hat keine Bedeutung, und ich bewege mich so, wie ich meine Mutter sich bewegen sah, meine Fersen berühren beim Gehen kaum den Boden. Ich widerspreche den Männern nicht, ich lege im ganzen Gesicht Foundation auf, pudere es, nehme mir dann die Augen vor, mit Eyeliner und Kajalstift, mit Lidschatten und Wimperntusche. Ich setze die blauen Kontaktlinsen ein, um wie neugeboren zu sein, und in diesem Moment brennt der Mann in mir nicht, ganz und gar nicht, sondern er begleitet mich auf meinem Weg durch die Stadt. Wenn ich in dasselbe Restaurant gehe und dasselbe Gericht bestelle, über das ich mich aus demselben Grund beschwere, bringt der Kellner das Essen nicht in die Küche zurück, sondern erklärt mir, das Fleisch sei genau so gebraten, wie ich es bestellt habe, und wenn er mir die Rechnung bringt, beobachtet e