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Ward Persall wanderte den köstlich kühlen Streifen des schmalen Strands entlang, auf dem die Wellen über den glitzernden Sand glitten. Er war gerade erst siebzehn, klein und dürr für sein Alter und sich dessen schmerzlich bewusst. Der Tag war wolkenlos, die Brandung schäumte aus dem Golf von Mexiko heran. Seine Flip-Flops versanken mit seltsam angenehmem Druck in der feuchten Oberfläche, und bei jedem Schritt schleuderte er ein Klümpchen Sand von seinem Zeh.
»Hey, Ward.« Sein Dad rief nach ihm, und Ward drehte sich zu ihm um. Er saß allein auf einer Strandliege ein paar Meter vom Wasser entfernt, eine Baseballmütze der Washington Nationals auf dem Kopf, ein Badetuch über seine Beine drapiert. Das dicke grüne Notizbuch von Boorum& Pease, das ihn niemals zu verlassen schien, lag aufgeschlagen in seinem Schoß. »Pass ein bisschen auf deine Schwester auf, ja?«
»Klar.« Als würde er das nicht seit fast einer Woche tun. Abgesehen davon lief Amanda nirgendwohin. Mit Sicherheit nicht ins Meer. Sie war ein Stück weiter den Strand hinunter auf Muschelsuche, vornübergebeugt in einer speziellen Haltung, die, wie er gelernt hatte, »Sanibel Stoop« hieß.
Wards Blick ruhte weiter auf seinem Vater, als dieser sich wieder über sein Notizbuch beugte und Gleichungen oder Notizen oder andere Dinge aufschrieb, die er Ward niemals sehen ließ. Sein Vater arbeitete für ein privates Rüstungsunternehmen in Newport News und machte stets einen Riesenwirbel darum, dass er seiner Familie beim Abendessen nichts von seinem Arbeitstag und dem, was er getan hatte, erzählen durfte – was nur dazu beitrug, den Graben zwischen ihnen zu vertiefen. Komisch, wie Ward anfing, Dinge zu bemerken, Dinge, die immer schon da gewesen waren, die er jedoch nie exakt hatte benennen können, wie den Grund, warum sein Vater immer Baseballkappen trug (um seine Glatze zu verbergen) oder warum er seine bleichen Beine mit einem Handtuch bedeckte (um Hautkrebs zu vermeiden, der in der Familie lag). Er nahm an, dass seine Mutter diese Dinge und wesentlich mehr ebenfalls bemerkt und dies zweifellos zur Scheidung vor drei Jahren beigetragen hatte.
Jetzt rannte seine Schwester auf ihn zu, in der einen Hand den Eimer, in der anderen eine Plastikschippe. »Schau mal, Ward«, rief sie aufgeregt, ließ das Schippchen fallen, steckte den Arm in den Eimer und zog etwas heraus. »Eine Pferdeschnecke!«
Er nahm sie ihr ab und musterte sie gründlich. Zu seiner Linken erklang unaufhörlich das monotone Geräusch der Brandung. »Hübsch.«
Sie griff danach und legte sie zurück in den Eimer. »Zuerst habe ich gedacht, es wäre eine Hornschnecke, an der sich die Huckel abgeschliffen haben. Aber die Form ist irgendwie falsch.« Und ohne seine Antwort abzuwarten, begab sie sich wieder auf Muschelsuche.
Ward sah ihr ein bisschen zu. Es war angenehmer, als seinen Vater zu beobachten. Dann schaute er sich rasch um, um sich zu vergewissern, dass keine neuen Schätze ans Ufer gespült worden waren, während er mit ihr geredet hatte. Doch dieser Strandabschnitt von Captiva Island war ruhig und die Konkurrenz minimal: In Sichtweite befand sich nicht mehr als ein Dutzend Menschen, die in derselben kuriosen Haltung wie er und seine Schwester am Rand der Brandung entlangliefen.
Als sie vor fünf Tagen auf Sanibel Island eintrafen, war Ward unheimlich enttäuscht gewesen. Seine vorherigen Ferien am Meer hatten nach Virginia Beach und Kitty Hawk geführt. Sanibel schien wie das Ende der Welt, ohne Promenade, mit nur wenigen Geschäften und Lokalen, und am allerschlimmsten: mit lausiger Internetverbindung. Doch im Lauf der Tage hatte er sich an die Stille gewöhnt. Er hatte genug Filme und Bücher heruntergeladen, um die Woche zu überstehen, und er brauchte keinen Internetzugang, um neue Modelle für das Side-Scroller-Spiel zu berechnen, das er für seinen Anwenderkurs in Python entwickelte. Seit der Scheidung hatte sein Dad nur wenige Möglichkeiten gehabt, mit ihnen in die Ferien zu fahren – wegen der Unterhaltszahlungen, und so blieb nicht viel Geld übrig –, und als ein Arbeitskollege ihm eine Woche in seinem kleinen Strandhaus auf Sanibel Island angeboten hatte, direkt am Golf, hatte er zugegriffen. Ward wusste, dass selbst das ihr Budget überstrapazierte, mit den Flügen und den Restaurantbesuchen und so, und er hatte sich gehütet zu maulen.
Die Muscheln hatten dabei geholfen, sich mit dem Ort anzufreunden.
Sanibel und Captiva Island an der Südwestküste Floridas gehörten zu den weltbesten Plätzen zum Muschelsuchen. Sie erstreckten sich wie ein Netz in den Golf von Mexiko hinein und fingen alle möglichen Sorten von Muscheln, tot oder lebendig, und streuten sie über den Sand. In der Nacht vor ihrer Ankunft war ein Sturm durchgezogen, was sich als Glücksfall erwies: Offenbar schwemmten dadurch immer noch mehr Muscheln an. Ihr erster Tag am Strand hatte einen fast unglaublichen Reichtum an ungewöhnlichen und schönen Exemplaren erbracht – nicht die Krabbenscheren, zerbrochenen Muschelschalen und anderen Mist, die man an den Outer Banks fand –, und das Muschelfieber hatte ihn und seine Schwester gepackt, besonders Amanda. Mittlerweile war sie z