: Mohandas Karamchand Gandhi
: M. K. Ghandi: Eine Autobiographie oder Die Geschichte meiner Experimente mit der Wahrheit
: Aquamarin Verlag
: 9783968610108
: 1
: CHF 13.20
:
: Romanhafte Biographien
: German
: 454
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB

Mahatma Gandhis Autobiographie wurde von Gandhi in den zwanziger Jahren in Form wöchentlicher Beiträge zu seiner Gujarati-Zeitschrift"Nav jivan" niedergeschrieben, dann von seinem Sekretär Mahadev Desai ins Englische übersetzt und nach Durchsicht und Billigung Gandhis in Buchform veröffentlicht. Sie ist ein einzigartiges Dokument seiner Wahrheitssuche und der Nachwelt gegenüber ein lebendiger Protest gegen die Verflüchtigung des Mahatma-Bildes zur Legende, denn sie schildert mit einer Offenheit, die gleich weit entfernt ist von eitler Selbststilisierung wie von koketter Selbstentlarvung, die Entwicklung dieser ebenso bedeutenden wie eigenartigen Persönlichkeit, bei der der Mensch deshalb nicht vom Politiker zu trennen ist, weil beide gleichermaßen im religiösen Grunde wurzeln. Zeitlich bis an die Schwelle von Gandhis Wirksamkeit als Befreier Indiens im großen Stil führend, legt sie alle jenen Elemente seines Geistes und Charakters, die ihn zu seiner welthistorischen Rolle befähigten, mit einer Rückhaltlosigkeit dar, die sein Denken und Handeln von den Fundamenten her verstehen lehrt. Der Leser nimmt teil an Gandhis Jugenderlebnissen, seiner Begegnung mit der englischen Welt, seinen ihn ins politische Leben hineinziehenden Erfahrungen in Südafrika und seinem Hineinwachsen in das Freiheitsstreben Indiens, dem er dann die moralische Basis und die geistige Richtung geben sollte.

Einleitung


Vor vier oder fünf Jahren willigte ich auf das Drängen einiger meiner nächsten Mitarbeiter darin ein, meine Autobiographie zu schreiben. Ich machte mich ans Werk, doch kaum hatte ich den ersten Bogen beendet, als in Bombay Unruhen ausbrachen und die Arbeit ins Stocken geriet. Dann folgte eine Reihe von Ereignissen, die in meiner Einkerkerung in Yeravda gipfelten. Sjt. Jeramdas, einer meiner Mitgefangenen dort, bat mich, alles andere zurückzustellen und die Autobiographie fertigzuschreiben. Ich entgegnete, ich hätte mir schon einen Studienplan zurechtgelegt und könne nicht daran denken, etwas anderes zu tun, solange dieses Programm nicht erledigt sei. In der Tat hätte ich die Autobiographie vollendet, wenn ich meine Gefängnisstrafe in Yeravda hätte ganz absitzen müssen; denn es fehlte noch ein Jahr zur Erfüllung der Aufgabe, als ich entlassen wurde. Nun hat Swami Anand die Anregung erneuert, und da ich die Geschichte desSatyagraha-Kampfes in Südafrika zu Ende geschrieben habe, fühle ich mich verlockt, die Autobiographie fürNavajivan zu verfassen. Der Swami wünschte, ich möge sie extra für eine Buchpublikation niederschreiben. Doch ich habe keine überflüssige Zeit. Ich könnte nur Woche für Woche ein Kapitel schreiben. Nun muß jede Woche etwas fürNavajivan geschrieben werden. Warum sollte das nicht die Autobiographie sein? Der Swami nahm diesen Vorschlag an, und so bin ich fest an der Arbeit.

Doch ein gottesfürchtiger Freund hatte seine Zweifel, die er mir an meinem Schweigetag anvertraute. „Was hat Sie“, fragte er, „zu diesem Abenteuer veranlaßt? Eine Autobiographie zu schreiben, ist eine Sache, die dem Westen eigentümlich ist. Ich weiß von niemandem im Osten, der eine Autobiographie geschrieben hätte, außer von solchen, die unter westlichen Einfluß geraten sind. Und was werden Sie schreiben? Angenommen, Sie verwerfen morgen das, was Sie heute zum Prinzip machen, oder angenommen, Sie ändern Ihre heutigen Pläne in der Zukunft, - ist es dann nicht wahrscheinlich, daß die Menschen, die ihr Verhalten nach der Autorität Ihres gesprochenen oder geschriebenen Wortes richten, in die Irre geführt werden? Glauben Sie nicht, es sei besser, etwas wie eine Autobiographie nicht zu schreiben, zumindest nicht gerade jetzt?“

Dieses Argument machte einigen Eindruck auf mich. Aber es ist nicht meine Absicht, eine Autobiographie in eigentlichem Sinne zu versuchen. Ich möchte nur die Geschichte meiner zahlreichen Experimente mit der Wahrheit erzählen, und da mein Leben bloß aus diesen Experimenten besteht, ist es wahr, daß diese Erzählung die Form einer Autobiographie annehmen wird. Doch ich werde mich nicht darum kümmern, ob jede ihrer Seiten nur von meinen Experimenten spricht. Ich glaube oder schmeichle mir wenigstens mit dem Glauben, daß ein zusammenhängender Bericht über all diese Experimente dem Leser nicht ohne Nutzen sein wird. Meine Experimente auf dem Felde der Politik sind heute nicht nur in Indien, sondern in gewissem Ausmaß in der „zivilisierten“ Welt bekannt. Für mich haben sie keinen besonderen Wert. Und der TitelMahatma, den sie mir eingetragen haben, hat deshalb noch weniger Wert. Oft hat mich dieser Titel tief gepeinigt. Ich kann mich keines Augenblicks erinnern, in dem es hätte heißen können, er habe einen Reiz für mich. Aber gewiß ist es verlockend für mich, meine Experimente im spirituellen Bereich zu erzählen, die nur mir selbst bekannt sind und aus denen ich die Kraft für meine Wirksamkeit auf dem politischen Felde geschöpft habe. Wenn die Experimente wirklich spiritueller Natur sind, lassen sie für Selbstlob keinen Raum. Sie können meine Demut nur verstärken. Je mehr ich in meine Vergangenheit zurückblicke und darüber nachdenke, um so lebhafter empfinde ich meine Grenzen.

Was ich erreichen möchte – wofür ich diese dreißig Jahre hindurch gekämpft und gelitten habe –, ist Selbstverwi