Prepapocalypse
Lisanne Surborg
Gerade eben
Ein Schwall Blut klatscht mir ins Gesicht und rinnt warm meinen Kragen hinab. Von irgendwoher dringen die ersten Sirenenchöre in den Wald.
16 Stunden zuvor
»Hey Geeks und Freaks! Ihr gucktPrepapocalypsemit Ben und Kalle. Danke für eure Fragen und Challenges in den Kommentaren. Ich hab´ einige davon ausgesucht und heute schauen wir mal, wie Kalle sich schlägt!«
Ich klappe den Bildschirm meines Laptops ein wenig nach vorn, damit das Licht der Schreibtischlampe mir Bens Gesicht nicht verblendet. Als er in die Kamera grinst, muss ich unwillkürlich lächeln. Im Video wendet er sich Kalle zu und zieht herausfordernd eine Augenbraue nach oben. »Bereit?«
»Klar!« Kalle plustert seine ohnehin schon fleischigen Wangen auf und nickt großspurig. Seine Schweinsäuglein fixieren die Kamera. Der Vlog wäre nie erfolgreich geworden, wenn Kalle ihn allein aufnehmen würde. Ich wette, für die meisten Fans ist er nur lästiges Beiwerk, das man eben akzeptiert, wenn man dafür Ben sehen kann. So ist es zumindest für mich. Ben ist die Pizza und Kalle das Basilikumblatt, das jeder gleich an den Rand legt.
»Okay!« Ben grinst wieder. Eine Strähne seines dunklen Haares rutscht ihm aus der Frisur und umschmeichelt seine hohen Wangenknochen.
Mit einer lässigen Bewegung streicht er sie wieder zurück. Er hat dieses Funkeln in den Augen, das ein Stakkato in meinem Brustkorb auslöst. »Die erst Frage kommt vonSurvivor11: Atomkrieg. Was machst du als allererstes?«
Kalle verzieht seinen breiten Mund zu einer Linie, die wohl Enttäuschung ausdrücken soll. »Easy. Ich gehe in meinen Bunker und fertig.«
»Next:IvyGalwill wissen, welche Gegenstände du für den Fall der Fälle immer dabeihast.«
Kalle zählt an drei Fingern ab. »Panzertape, Aspirin, Kabelbinder.«
Ben bricht in Gelächter aus und wirft den Kopf in den Nacken. Unter dem T-Shirt spannt sich seine Brustmuskulatur an. »Das stimmt! Der Typ kommt einfach jeden Tag mit Drogen und Kabelbindern zur Schule!«
Diesmal lasse ich das Video einfach weiterlaufen. Aber gestern habe ich mir die Stelle zehn Minuten auf Repeat angesehen.
»Nächste Frage«, sagt Ben, als er sich beruhigt hat. »VonPrepLover666: Wie bereitest du dich darauf vor, dass du in der Apokalypse geliebte Menschen verlieren wirst, ohne dich verabschieden zu können?«Geliebte Menschen, wiederholt mein Gehirn mit Bens Stimme.
Kalle guckt an die Decke und schüttelt dann ganz langsam den Kopf. Er faltet die Hände und lehnt sich auf seinem Schreibtischstuhl vor. »Ich muss mich nicht verabschieden. Alle, die mir wichtig sind, nehme ich mit in den Bunker. Dann spielen wir zusammen Karten, während oben die Welt untergeht.«
Ben blickt skeptisch an der Kamera vorbei. So guckt er immer, wenn er nachdenkt. Letzte Woche habe ich mich in einer Freistunde vor seinem Klassenraum platziert und ihn durchs Fenster dabei beobachtet, wie er seine Deutschklausur geschrieben hat. Daher weiß ich das.
»Aber wie wahrscheinlich ist es, dass du gerade alle, die dir wichtig sind, in Bunkernähe um dich hast, wenn die Apokalypse kommt?«, fragt er. Auf seiner Stirn bildet sich eine Denkfalte.
»Es sind ja nicht viele.«
»Aber gibt es nicht trotzdem Leute, denen du noch was zu sagen hast, bevor alle sterben?«
Kalle schüttelt entschieden den Kopf. »Sorry Ben, aber das ist genau die melodramatische Kacke, die man abschalten muss, wenn man überleben will. Wenn eh alle sterben, ist es auch egal, ob man ihnen zehn Minuten vorher noch irgendwas gesagt hat. D