KAPITEL 1
SIEBEN JAHRE SPÄTER
TRISTAN
Joker wirft diesen blöden Racquetball jetzt schon seit zwanzig Minuten gegen unser Garagentor. Er ist angepisst, weil ich ihn hier draußen nicht kiffen lasse, aber meine Mom bittet mich nicht um viel, und mal ehrlich, dieses Zeug ist sowieso nicht gut für ihn.
Das monotone Geräusch versetzt uns beide in eine Art Trance. Mindestens drei Autos sind an meinem Haus vorbeigefahren und ich weiß nicht mal, welche Farbe sie hatten. Das ist gefährlich – nicht auf Details zu achten. Ich breche aus meinem Dämmerzustand heraus und schnappe den Ball aus der Luft, bevor er ein weiteres Mal gegen das sowieso schon demolierte Garagentor knallt.
»Komm schon, Mann. Das Teil schließt eh nicht mehr ganz.«
Er verdreht leicht die Augen und schnalzt kurz mit der Zunge.
»Das Geräusch nervt zu Tode«, sage ich trocken, bevor ich den Ball in den Nachbargarten werfe.
Joker zuckt zusammen, dann dreht er den Kopf, bis sich unsere Blicke treffen. »Du bist ein Arsch.«
Ich antworte nicht. Mein Hintern ist ganz taub vom Sitzen auf diesem Metallstuhl. Dub hat gesagt, dass wir vor dem Haus auf ihn warten sollen, aber er wollte schon vor einer Stunde hier sein. Ich glaube nicht, dass er noch kommt.
»Schreib ihm mal, Mann«, sage ich, beuge mich vor und lehne mich mit den Ellbogen auf die Knie.
Joker nimmt sein Handy und lässt die Fingerspitzen nervös über dem Display kreisen. In ein paar Tagen wird er achtzehn, was bedeutet, dass die Gang ihn sich schnappt, um ihn offiziell aufzunehmen. Es muss nicht direkt an seinem Geburtstag passieren – aber so um den Dreh herum. Als er heute Morgen vor meiner Tür aufgetaucht ist, wusste ich, dass er vermutete, er könnte heute dran sein. Aber Dub würde hier nie mit seiner Gang aufkreuzen. Meine Mom hat schon zu viel gesehen und sie vertraut ihm nicht.
Das sollte sie auch nicht. Die Drogen, die sie in die Entzugsklinik gebracht haben, als ich elf war, kamen von seinen Leuten. Sie war die meiste Zeit meines Lebens davon abhängig und sie brauchte Jahre, um davon loszukommen. Als mein Dad im Gefängnis starb, fand sie zu Gott. Ich wohnte bei meinem Onkel Alonzo, bis sie die Entziehungskur hinter sich hatte. Mittlerweile ist sie seit sechs Jahren clean und geht jeden Tag in die Kirche. Sie arbeitet sogar für die Kirchengemeinde. Ich weiß, dass ein Teil von ihr versucht, mir all das zu ersparen, aber das schafft sie nicht. Ich habe mich schon als Kind an dieses Leben verkauft, geblendet von den Kriminellen, die ich vergötterte, und den Geschichten, die sie mir über meinen Dad erzählen. Die einzige Möglichkeit, diesen Teil meines Lebens vor ihr abzuschirmen, ist diese lockere Linie, die ich gezogen habe, um die schlimmen Sachen von zu Hause fernzuhalten – obwohl es sich manchmal unmöglich anfühlt, alles draußen zu lassen.
Ich werde erst in fünf Monaten achtzehn, aber für mich wird das Prügelritual nur reine Formsache sein. Ich würde alles geben, um an Jokers Stelle zu sein. Nicht weil ich mein Schicksal beschleunigen will, sondern weil er immer noch eine Wahl hat. Keine große Wahl, aber schon das ist mehr, als ich je haben werde. Wenn er aussteigen will, muss er nur die Schläge überleben und ein Tattoo tragen. Mein einziger Ausweg ist der Tod. Aber es gibt härtere Schicksale als meins, also was soll’s.
Das Dröhnen kündigt Dubs Wagen an, bevor er um die Ecke biegt. Jokers Gesicht wird rot vor Erleichterung, weil er die Nachricht noch nicht abgeschickt hat