Workaholismus, Automatisierung und Digitalisierung: Arbeit als Lebensinhalt?
// VonSimone Janson
Arbeit ist unbestreitbar einer der wichtigsten Faktoren in unserer Gesellschaft – und wer arbeitslos wird, ist mit gesellschaftlichen Stigmata belegt. Im Zuge zunehmender Digitalisierung und Automatisierung wird sich das jedoch zunehmend ändern. Was bedeutet das für unsere Gesellschaft?
Der Beruf: Mehr als Broterwerb
Die Wichtigkeite des Berufes in unserer Gesellschaft ist unbestreitbar groß, denn dieser hat für die meisten Menschen eine ganz immense Bedeutung. Längst ist der Job viel mehr als einfach nur Mittel zum Zweck des Lebensunterhalts, er dient vor allem auch der Selbstidentifikation. Sprich:
Der Job spült nicht nur das Geld in unsere Kassen, sondern definiert darüber hinaus auch unsern gesellschaftlichen Status. Kein Wunder also, dass wir versuchen, im Job alles perfekt zu machen. Und einerlei ob es sich um falsche Entscheidungen, misslungene Innovationen oder nur um Kleinigkeiten handelt – Fehler sind eines der letzten Tabus des Wirtschaftslebens. Das ist mehr als nur schade: Mitarbeiter wie Unternehmen nehmen sich mit ihrem übertriebenem Perfektionismus die Chance, aus Fehlern zu lernen und Innovation zu fördern.
Angst geht um im Unternehmen
Wichtig ist der Beruf natürlich allein schon deshalb, weil er unsere Existenz sichert. Oder besser gesagt sichern soll – denn nichts ist heutzutage so sicher wie die Unsicherheit: In den vergangenen 20 Jahren haben Begriffe wie Flexibilität, Mobilität und lebenslanges Lernen Karriere gemacht; berechenbare Lebensbiografien wurden zu einem schönen Traum, finanzielle Sicherheit scheint immer unplanbarer. Auslöser für diese Entwicklung sind die zunehmende Globalisierung und ein immer radikaler werdenden Konkurrenzkampf am Markt. Daraus resultieren Spar- und Rationalisierungsmaßnahmen, die Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland und geringere Löhne. Die jüngste Banken- und Finanzkrise hat diese Tendenz nur noch verstärkt. Das Ergebnis: Die Angst um den Arbeitsplatz geht um.
Pessimismus und der Hang, vor allem auch in den Medien kleine Probleme zu einer ganz großen Katastrophe auszuweiten, verstärken diese Ängste noch. Und viele Menschen versuchen, mit ihren Ängsten fertig zu werden, indem sie typisch perfektionistische Verhaltensweisen an den Tag legen. Die zunehmende Verunsicherung soll mit einem Übermaß an Kontrolle bekämpft werden und so klammert man sich fast schon verzweifelt an althergebrachte Strukturen, statt Engagement zu zeigen und etwas Neues zu wagen.
Geiz ist Geil vs. Innovationsfreude
Einerseits ist Geiz geil und jeder will Geld sparen, wo er nur kann. Andererseits finden viele Menschen es zu anstrengend, neue Ideen zu entwickeln und zu riskant, selbst unternehmerisch tätig zu werden. Da darf man sich über steigende Arbeitslosigkeit eigentlich nicht beklagen.
Viel hilfreicher ist eine optimistische Sichtweise. Schließlich profitiert jeder von uns auch von den offenen Grenzen, dem hohem Innovationstempo und dem scharfem Wettbewerb. Niedrige Preise, ein reiches Warenangebot und fortschrittliche Produkte, über die wir uns als Konsumenten freuen, gehen eben zu Lasten jener Beständigkeit der Arbeitsplätze, die Sie aus den Zeiten kennen, als die Uhren der Wirtschaft noch langsamer gingen und ihre Grenzzäune noch höher waren.
Wieviel Angst ist notwendig?
Im Prinzip ist ein wenig Angst auch nicht verkehrt, denn natürlich ist es wichtig, dass jeder seine Arbeit gut macht. Gerade in verantwortungsvollen Positionen sollten die Betreffenden ihr Metier so gut wie möglich beherrschen – denken Sie nur an den Manager, dessen Fehlentscheidung Tausende von Mitarbeiten den Job kosten kann oder an den Arzt, dessen Fehler für Patienten lebensbedrohlich sein können. Wer sich zu sicher fühlt, kann allzu schnell nachlässig werden. Die konstruktive Angst, Fehler zu machen, die jeder von uns in bestimmten Situationen kurzfristig verspürt, hat daher eine wichtige Funktion: Sie motiviert uns, die Angst zu überwinden und eine Sache so gut wie möglich zu machen.
Problematisch wird Angst dann, wenn sie nicht nur kurzzeitig, sondern dauerhaft auftritt und das Denken und Handeln immer stärker beherrscht. Leider ist das nur allzu oft der Fall. Studien zeigen, dass die Angst, Fehler zu machen und die Angst vor Arbeitsplatzverlust zu den häufigsten Ängsten in deutschen Unternehmen gehören. Solche Ängste ziehen sich durch alle Hierarchiestufen und betreffen kleine Angestellte genauso wie Topmanager. Gern werden diese Ängste von den Unternehmen selbst noch geschürt und als Machtmittel eingesetzt, um mehr Druck zu erzeugen und damit zu erreichen, dass die Mitarbeiter zu 110 Prozent leistungsbereit sind.
Das Märchen von der Effizienzsteigerung
Leider ist es jedoch ein folgenschwerer Irrglaube, dass bei 110-Prozent Leistung auch immer ein Mehr an Ergebnis herauskommt; im Gegenteil, in der Regel klaffen der Anspruch an die Effizienz und die Wirklichkeit weit auseinander. Wie die Produktivitätsstudie der amerikanischen Unternehmensberatung Proudfoot-Consulting jährlich wieder aufs Neue zeigt, kann übermäßiger Arbeitseifer nämlich auch das Gegenteil bewirken:
Allein in Deutschland werden im Schnitt 26 Arbeitstage pro Jahr und Mitarbeiter verschwendet – und zwar vor allem durch unnötige Wartezeiten und Doppelarbeiten, die durch besonneneres Handeln vermieden werden könnten. Außerdem verursachen Druck und jene hektische Betriebsamkeit, die dann entsteht, wenn man alles perfekt machen will, Stress. Der wiederum hemmt das klare Denkvermögen und führt zu Fehlern.
Job als Kompensator?
Untersuchungen zeigen, dass viele Perfektionisten den Beruf nutzen, um typische Charaktereigenschaften wie Ehrgeiz, innere Unsicherheit, Hyperaktivität und Hektik, Geltungsdrang, Machtstreben und Aggressivität zu kompensieren, denn unsere moderne Arbeitswelt scheint diese Züge oft nicht nur zu tolerieren, sondern geradezu zu fordern.
Solch unproduktiven Arbeitseifer kann man daher mit gutem Gewissen als blinden Aktionismus bezeichnen. Natürlich vermittelt er den Vorgesetzten den Eindruck