Zwei Tage noch, dann geht es los. Vom Sauerland bis nach Tel Aviv werde ich 16.000 Kilometer trampen. Ich werde es durchziehen. Nicht dass ich besonders gut in so etwas bin. Ich bin genauso gut im Zögern und Verzögern wie professionelle Projektmanager. Diesmal ist die Lage allerdings anders. Ich habe alle Jobangebote sausen lassen – oder so lange gezögert, bis man mich hat sausen lassen. Das Leben ist nun mal nicht so gnädig wie der Zeitplan des Berliner Flughafens. Ich bin erfolgreich arbeitslos geworden. Die Alternativen zu meinen Reiseplänen sind durch konsequentes Missmanagement erledigt. Bleibt Plan B.
Ungünstigerweise ist Plan B so durchdacht wie die Ideen des Betrunkenen, der um drei Uhr morgens mit einer leichten Überschätzung seiner motorischen Fähigkeiten die Party von einer Gruppe Rettungssanitäter beenden lässt.
Das Vorhaben gründet lediglich auf der Überlegung, vor meinem Einstieg in die Berufswelt eine längere Tramptour zu machen. Über die Jahre ist das Hobby etwas ausgeartet. Vom anfänglichen Taxi-Ersatz ins Nachbardorf zur denkbaren Alternative zum Interkontinentalflug liegen einige Zehntausend Kilometer, die ich per Daumen zurückgelegt habe. Als Student bin ich noch aus Geldmangel getrampt, später entwickelte sich daraus ein Erlebniskatalysator im Urlaub. Bis es zur Gewohnheit wurde.
Neben der Lust am Trampen war die Idee gereift, mal in den Iran zu fahren. Mein Mitbewohner hatte vor Jahren mit ziemlicher Begeisterung von seinem Trip durch das Land erzählt und es als eines der schönsten Reiseländer dargestellt. Das waren dann auch schon meine Überlegungen zu dem Thema.
Die Gründe für die Reise sind also nicht sehr überzeugend, der Plan ist nicht wirklich detailliert. Das ist aber nicht weiter tragisch, denn selbst zum Mond sind die USA laut Kennedy ja nur geflogen, weil es schwierig ist. Nicht etwa weil es notwendig war, sich jemand viel dabei gedacht oder irgendwer dort oben den Herd angelassen hatte.
Der Planet ist groß, und es gibt unzählige nette Länder zum Bereisen. Die Auswahl finde ich aber nicht hilfreich, ganz im Gegenteil. Es gibt nichts Schlimmeres, als sich zwischen schwer vergleichbaren Optionen entscheiden zu müssen.
Um zu verhindern, dass ich mir endlos den Kopf darüber zerbreche, wohin ich fahre, oder sogar den Sinn der Reise anzweifele, brauche ich nur eine Sache: Entschlossenheit.
Entschlossen zu sein, ist eigentlich nicht weiter schwer. Zum einen ist diese Charaktereigenschaft nur eine euphemistische Umschreibung für Sturheit, kombiniert mit Lernresistenz. Zum anderen ist sie, im Gegensatz zu den gehobeneren, an Selbstbeherrschung gekoppelten Fähigkeiten, recht leicht zu erwerben.
Es reicht schlicht, vor ein paar Menschen zu verkünden: »Ich bin entschlossen, XY zu tun.«
Da es ab diesem Punkt meist unangenehm ist, einen etwaigen Fehler einzugestehen oder einen Rückzieher zu machen, bleibt die Entschlossenheit als kleineres Übel.
Deshalb erzähle ich schon seit Monaten allen meinen Freunden von meinem Vorhaben. Seitdem zeigt der soziale Druck seine Wirkung. Bei jedem Gespräch rede ich mich tiefer in mein Grab, wiederhole es so häufig, dass ich mittlerweile sogar selbst von der Sinnhaftigkeit des Unternehmens überzeugt bin. Nebenbei habe ich so verstanden, wie Politik funktioniert.
Kurz vor der Abfahrt kommen wieder Zweifel in mir auf. Ich habe wenig Ahnung von der Region, in die es mich zieht. Sie ist nicht gerade für ihren gelebten Pazifismus bekannt. Will ich wirklich so viele vorderasiatische Länder, mit ihren zahlreichen Kulturen, deren Sprache ich nicht verstehe, durchqueren? Und das Ganze auch noch trampend?
Ein unerwarteter Beifahrer
Mein Rucksack ist fast gepackt, ich besitze eine aktuelle Karte aus dem Jahre 1977 und eine grobe Route – ein langer Textmarker-Strich, der sich mit vielen Kurven über einen ausgedruckten OpenStreetMap-Screenshot zieht. Ein Bekannter erwartet mich in Prag. Es kann also losgehen.
Wegen einer kleinen Unklarheit sitze ich allerdings noch vor meinem PC und warte auf einen Skype-Anruf. Ebenfalls ein Resultat des sozialen Druckes. Yuki, ein Freund aus Japan