Kapitel 2
Der September war wundervoll. Es war noch nicht so dunkel und kalt wie im Winter, stattdessen lag ein Hauch von Sommer in der Luft. An diesem Nachmittag war alles in ein goldenes Licht getaucht. Das Laub war bereits bunt gefärbt und säumte die Straßen. Wesley hatte sich mit Daan, der sein bester Freund war, zum Laufen verabredet. In den Semesterferien konnten sie ihre Läufe so planen, dass sie nicht in den Berufsverkehr gerieten. Tod durch Fahrrad war nicht Wesleys bevorzugte Art, um abzutreten. Er hatte soeben seinem Freund von einem Gespräch mit seinem Studiengangsmoderator am Morgen berichtet. Möglicherweise hatte er im letzten Semester den klitzekleinen Fehler gemacht, zu wenig Zeit in den Vorlesungen zu verbringen – und dementsprechend sahen seine Noten aus. Das wäre kein Problem, wäre da nicht sein Stipendium, das er im Begriff war zu verlieren.
„Und das überrascht dich?“, fragte Daan.
„Ich weiß, ich habe es verdient“, gab Wesley zu. Er wurde langsamer. Ihre Runde war beinahe zu Ende und es war immer besser, sich auszulaufen.
„Was tust du jetzt?“, wollte Daan wissen.
Wesley zuckte mit den Schultern: „Ich habe keine andere Wahl, als manche Vorlesungen noch einmal zu besuchen. Ich brauche das Stipendium, ich kann unmöglich noch mehr arbeiten.“
Seit letztem Semester hatte er den Job in einem Café. Blöd nur, wenn man ein Studium hatte, das bereits ein Vollzeitjob war. Er hatte aber leider keine Familie, die ihm sein Leben finanzierte. Genauer gesagt hatte er gar keine Familie. Als Kind hatte er manchmal davon geträumt, dass ein unbekannter, netter Verwandter auftauchte und ihn aus dem Waisenhaus, in dem er seit seiner Geburt gelebt hatte, herausholte. Mittlerweile wäre er schon zufrieden, wenn irgendwo ein Vermögen auf seinen Namen entdeckt wurde. So etwas geschah aber nur inHarry Potter, nicht im echten Leben.
Daan verfolgte das Thema nicht weiter. Er blieb stehen und benutzte eine Bank am Rande des Kanals, um sich zu dehnen. „Möchtest du heute Abend zu uns kommen? Mein Vater wird sowieso zu viel kochen, du weißt, wie er ist. Außerdem freut er sich immer, dich zu sehen.“
Wesley überlegte kurz. Er wusste, dass er bei Daan und seiner Familie immer willkommen war. Trotzdem würde er nie ganz dazugehören. Es war in Ordnung, dass er selbst nie so eine Familienidylle gekannt hatte. Nur manchmal, wenn er den Abend bei seinem Freund verbracht hatte, beschlich ihn diese schwere Traurigkeit. Dazu kam, dass er ihre Freundlichkeit nicht ausnutzen wollte und jedes Mal, wenn er ein kostenloses Es