[30]Der Kindlein
Unser Religionslehrer heißt Falkenberg.
Er ist klein und dick und hat eine goldene Brille auf.
Wenn er was Heiliges redet, zwickt er die Augen zu und macht seinen Mund spitzig.
Er faltet immer die Hände und ist recht sanft und sagt zu uns: »ihr Kindlein«.
Deswegen haben wir ihn den Kindlein geheißen.
Er ist aber gar nicht so sanft. Wenn man ihn ärgert, macht er grüne Augen wie eine Katze und sperrt einen viel länger ein, wie unser Klassprofessor.
Der schimpft einen furchtbar und sagt »mistiger Lausbub«, und zu mir hat er einmal gesagt, er haut das größte Loch in die Wand mit meinem Kopf.
Meinen Vater hat er gut gekannt, weil er im Gebirg war und einmal mit ihm auf die Jagd gehen durfte. Ich glaube, er kann mich deswegen gut leiden und lässt es sich bloß nicht merken.
Wie mich der Merkel verschuftet hat, dass ich ihm eine hineingehaut habe, hat er mir zwei Stunden Arrest gegeben. Aber wie alle fort waren, ist er auf einmal in das Zimmer gekommen und hat zu mir gesagt: »Mach dass du heimkommst, du Lauskerl, du grober! Sonst wird die Supp’ kalt.«
Er heißt Gruber.
Aber der Falkenberg schimpft gar nicht.
Ich habe ihm einmal seinen Rock von hinten mit Kreide angeschmiert. Da haben alle gelacht, und er hat gefragt: »Warum lacht ihr, Kindlein?«
Es hat aber keiner etwas gesagt; da ist er zum Merkel[31]hingegangen und hat gesagt: »Du bist ein gottesfürchtiger Knabe, und ich glaube, dass du die Lüge verabscheust. Sprich offen, was hat es gegeben?«
Und der Merkl hat ihm gezeigt, dass er voll Kreide hinten ist, und dass ich es war.
Der Falkenberg ist ganz weiß geworden im Gesicht und ist schnell auf mich hergegangen. Ich habe gemeint, jetzt krieg’ ich eine hinein, aber er hat sich vor mich hingestellt und hat die Augen zugezwickt.
[32]Dann hat er gesagt: »Armer Verlorener! Ich habe immer Nachsicht gegen dich geübt, aber ein räudiges Schaf darf nicht die ganze Herde anstecken.«
Er ist zum Rektor gegangen, und ich habe sechs Stunden Karzer gekriegt. Der Pedell hat gesagt, ich wäre dimittiert geworden, wenn mir nicht der Gruber so geholfen hätte. Der Falkenberg hat darauf bestanden, dass ich dimittiert werde, weil ich das Priesterkleid beschmutzt habe. Aber der Gruber hat gesagt, es ist bloß Übermut, und er will meiner Mutter schreiben, ob er mir nicht ein paar herunterhauen darf. Dann haben ihm die andern recht gegeben, und der Falkenberg war voll Zorn.
Er hat es sich nicht ankennen lassen, sondern er hat das nächste Mal in der Klasse zu mir gesagt: »Du hast gesündigt, aber es ist dir verziehen. Vielleicht wird dich Gott in seiner unbeschreiblichen Güte auf den rechten Weg führen.«
Die sechs Stunden habe ich brummen müssen, und der Falkenberg hat mich nicht mehr aufgerufen; er ist immer an mir vorbeigegangen und hat getan, als wenn er mich nicht sieht.
Den Fritz hat er auch nicht leiden können, weil er mein bester Freund ist und immer lacht, wenn er »Kindlein« sagt. Er hat ihn schon zweimal deswegen eingesperrt, und da haben wir gesagt, wir müssen dem Kindlein etwas antun. Der Fritz hat gemeint, wir müssen ihm einen Pulverfrosch in denKatheder legen; aber das geht nicht, weil man es sieht. Dann haben wir ihmSchusterpech auf den Sessel geschmiert. Er hat sich aber die ga