Für meine Mutter,
ohne deren liebevolle und verlässliche Unterstützung
mein Lebensweg ein völlig anderer geworden wäre.
Für meinen Vater,
der mir mit seiner Herzenswärme, Aufgeschlossenheit
und seinem Humor stets ein Vorbild war.
St. Hedwig-Klinik (1952)
Ihre Fingernägel gruben sich in das weiße Laken, so als wollte sie es durchbohren. Ihr Körper bäumte sich auf. Sie hechelte und wollte vor Schmerzen schreien, aber sie wusste, sie durfte es nicht. Sie musste sich beherrschen. Stattdessen griff sie nach einem Zipfel des ausgebleichten Bettbezugs und stopfte ihn in ihren Mund. Mit aller Kraft biss sie darauf. Was waren das nur für höllische Schmerzen! Helena hatte zwar von den vagen Andeutungen ihrer Mutter und ihrer Tanten gewusst, dass es sehr wehtun würde, aber so schrecklich hatte sie es sich nicht vorgestellt. Sie hatte das Gefühl, tausend Teufel würden in ihrem Leib toben und sie von innen auffressen.
Als ihre Eltern sie eine Stunde zuvor in die St. Hedwig-Klinik gebracht hatten, waren sie gleich an der hohen Flügeltür von einer stämmigen Ordensschwester mittleren Alters in Empfang genommen worden. Anstatt sich gleich um sie zu kümmern, hatte sie die drei erst einmal gemaßregelt: »Imma mit de Ruh! Vor allem, macht ämol net so en Uffstand!« Sie hatte sich ihnen in den Weg gestellt und sich vor ihnen aufgebaut. Dann hatte sie ihren spitzen Zeigefinger auf Helena gerichtet und hinzugefügt: »Un damit du es glei ämol weeschd, Mädsche, hia werd net gschriee! Hoschd misch verstanne? Net dass du ma am End noch die ganz Schstazion do verrickd machschd. Des kennd isch heid Nacht grad noch gebrauche!« Danach hatte sie sich wieder Amelie und Carlo zugewandt und auf eine Zimmertür gedeutet. »Do bringe Se Ihr Dochda jetzd noi un legese se ufs Bedd. Un dann machese, dass se heemkumme!«
»Aber wir können doch unsere Tochter nicht einfach so ganz mutterseelenallein in diesem Zimmer zurücklassen. Sie sehen doch, dass ihr die Fruchtblase geplatzt ist«, entgegnete Amelie mit Nachdruck. Sie wollte weitersprechen, die Schwester fiel ihr jedoch ins Wort.
»Un ob ich des seh, de ganze Boode ist verdrobbseld. Hättese do net ä bissel bessa uffbasse kenne?!«
»Hören Sie doch, meiner Tochter ist die Fruchtblase geplatzt, und zwar sechs Wochen zu früh!« Amelie war zutiefst beunruhigt. »Ist denn hier nirgends ein Arzt?!«
Die Ordensschwester hatte ihr nicht geantwortet. Die konnte anscheinend nichts aus der Ruhe bringen. »Jetzt machese net so ä Theada! Des bassierd efders. Mir gugge schun nach ere. Sie schdere bloß! Ihr Dochda is Erschdgebernde, des kann ewisch dauere, bis des Kleene uf die Welt kummd.«
»Reicht es denn nicht, wenn mein Mann geht? Lassen Sie mich doch wenigstens hier bleiben?« Amelie wollte sich nicht einfach so hinauskomplimentieren lassen. Sie war in großer Sorge um Helena.
»Nix do! Ma fiehre hia ke neie Mode oi.« Die Schwester ließ sich nicht erweichen. »Sie schdehe mer bloß im Weg rum. Lossese Ia Telefonnumma hia, mia melde uns bei Ihne, wenn des Kleene do is. Un jetzt lossese misch endlisch moi Arbeid mache.«
Während Carlo seine Tochter stützte und sie in das zugewiesene Zimmer begleitete, kramte Amelie in ihrer kleinen schwarzen Handtasche. Schließlich zog sie einen Zettel heraus und reichte ihn der Schwester. »Wir haben selber kein Telefon. Aber der Metzger Haberkorn in der Beilstraße, der hat eins, da können Sie anrufen. Das ist gerade schräg gegenüber von uns. Der gibt uns dann Bescheid.«
»Wo is en die Beilstrooß eigendlisch?«, fragte die Ordensschwester nach, während sie den Zettel betrachtete.
Amelie zögerte ein wenig. »Im Jungbusch«, sagte sie fast etwas verschämt und hoffte, dass die Ordensschwester nichts von dem schlechten Ruf des Hafenviertels wusste.
Doch der schien ihr sehr wohl bekannt zu sein, denn sogleich blickte sie skeptisch über ihre dicken Brillengläser hinweg zu Amelie und begann sie von oben bis unten zu mustern. Ihr Gesichtsausdruck schrieb Bände, aber Gott sei Dank schwieg sie und ersparte ihnen jeden weiteren Kommentar.
Obwohl Amelie das barsche Auftreten der Ordensschwester äußerst missfiel, versuchte sie doch, einigermaßen freundlich zu bleiben. »Dürfte ich dann wenigstens noch mal kurz zu meiner Tochter gehen?«, fragte sie vorsichtig.
»Na ja, dann gehese halt schun, awer blo