Manchmal war ich Finn oder Chris, meist aber Max – jedoch niemals Yvonne. Meinen Geburtsnamen sagten nur die anderen. Meine Familie, Freunde, Lehrer. Keine Ahnung, wo ich diese Jungennamen aufgeschnappt hatte. Damals war ich drei oder vier Jahre alt, und diese Namen quollen aus meinem Mund heraus wie die Papierschlange aus einer Kasse. Wie bestellt. Daran erinnern sich auch meine Eltern – widersprochen haben sie mir nie. Sie hielten es für einen »Spleen«, eine »Kleinkindmacke« und irgendwie für »niedlich«. Das galt auch für meine Lieblingsklamotten und meine Vorlieben beim Spielen. Pink, Glitzer oder Schmuck? Um Himmels willen! Eine Geschichte, die auf Kaffeekränzchen mit Omas und Tanten gerne unter dem Motto »Typisch Yvonne!« zum Besten gegeben wurde: Klein Yvonne konnte gerade laufen und steckte in einem Kleidchen mit großem Spitzenkragen. Dieser wehte ihr immer wieder ins Gesicht, was sie so wütend machte, dass sie mit hochrotem Köpfchen versuchte, ihn mit ihren Händchen abzureißen, begleitet von hysterischem Kreischen. Von da an waren solche Kleidchen mit Kragen tabu.
Also weder Kleidchen noch Püppchen, stattdessen immer burschikos und zum Raufen aufgelegt. Ich war so ein typischer Wildfang.
Tief in mir hockte bereits meine eigene Wahrheit. Irre, wie früh die Seele weiß, dass da etwas schiefgelaufen ist.
Eine Stimme im Kopf flüstert dir die Wahrheit zu. Sie wird immer lauter. Aber du bist eben noch viel zu klein, um ihr Gehör zu schenken. Du verstehst nicht, worum es geht und was anders ist. Da sind nur diese lauten Stimmen in dir, die was anderes schreien als das, was wahr sein soll. Ständig dieser große Konflikt in dir: Äußerlich bin ich ein Mädchen, innerlich ein Junge.
Das rosa oder hellblaue Etikett wird einem schon im Kreißsaal verpasst. Ist auf eine Art auch gut so, damit es zu keiner Verwechslung kommt. Doch ich bin falsch etikettiert worden. Rosa gelabelt, obwohl ich eigentlich in die blaue Ecke gehöre. Ich bin zwar noch nicht Vater, kann mir aber gut vorstellen, wie dieser Tag für meine Eltern gewesen sein muss. Natürlich haben sie mir alle Geschichten von meiner Geburt erzählt. Wie stolz und froh sie damals waren. Und dann dieser besondere Moment im Kreißsaal: Ist es ein Junge oder ein Mädchen? Die Frage aller Fragen – denn in den 1980er-Jahren gab es diese 4-D-Ultraschallgeräte ja noch nicht. »Hauptsache gesund«, behaupten Eltern immer. Aber unbewusste und somit unausgesprochene Hoffnungen spielen eine Rolle. Was nun, wenn das geborene Mädchen eigentlich ein Junge hätte sein sollen? Ich aber hatte eine kleine Scheide zwischen den Beinen. Damit stand mein Etikett fest. Yvonne ist geboren!
Mein zweiter Vorname hätte »Ambivalenz« sein können. Da gab es das fröhliche, lustige, beliebte Kind mit der vorlauten Klappe. Und daneben immer auch das einsame, fragende, suchende Kind mit dem Kloß im Hals. Das frohe und beliebte Kind war stets sichtbar, das traurige konnte ich lange Zeit gut verbergen. Die Bühne meines Lebens war dafür auch wie geschaffen. Der Kulisse fehlte es an nichts. Tatsächlich bin ich extrem privilegiert aufgewachsen. Wir hatten sogar ein Ferienhaus in Spanien, eine eigene kleine Jacht und ein Sportflugzeug. Eine beachtliche Leistung von meinem Papa, der aus sehr einfachen Verhältnissen stammte. Ohne fremde Hilfe hatte er sich nach oben gekämpft und einen erfolgreichen Betrieb für Küchen- und Treppenbau gegründet. Mein Vater ist wahrlich kein einfacher Mensch, aber seine Energie und Zielstrebigkeit finde ich bemerkenswert. Als Kind genoss ich seine Stärke und Präsenz. Nicht so eine Luftpumpe wie so mancher Vater in