: Helga Felsberger
: Ulrich Schultz-Venrath
: Mentalisieren bei Psychosen (Mentalisieren in Klinik und Praxis, Bd. 6)
: Klett-Cotta
: 9783608116144
: Mentalisieren in Klinik und Praxis
: 1
: CHF 27.10
:
: Angewandte Psychologie
: German
: 272
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Ment lisierungsbasierte Therapien sind ein wirksamer Ansatz für die Behandlung psychotischer Erkrankungen. Sie werden seit neuestem in der Behandlung von PatientInnen mit Psychosen erfolgreich eingesetzt. Dieses Grundlagenwerk verbindet anschaulich Theorie und klinische Anwendung. Bei Psychose-Spektrum-Erkrankten ist die Beeinträchtigung der Mentalisierungsfähigkeit meist ausgeprägter und anhaltender als bei anderen strukturellen Störungen.   Der dadurch hervorgerufene und oftmals jahrelange soziale Ausschluss verstärkt seinerseits die Erkrankung. Die Autorin zeigt, wie es eine mentalisierungsfördernde Vorgehensweise ermöglicht, eine stützende, auf die Stärkung der sozialen Kompetenz abzielende Behandlung durchzuführen. Durch entsprechende kurze Interventionen können die therapeutische Beziehung verbessert und Therapieabbrüche verringert werden. - Grundlagenwerk zu einem erfolgsversprechenden Therapieansatz - Klinische Fallbeispiele - Für Gruppen- und Einzeltherapie geeignet Dieses Buch richtet sich an: - Alle PsychotherapeutInnen und ÄrztInnen, die mit psychotischen PatientInnen arbeiten

Helga Felsberger, Mag. Dr. phil., Klinische und Gesundheitspsychologin, Psychotherapeutin (Gruppenanalyse, Psychoanalytische Psychotherapie), Supervisorin, Lehrtherapeutin im ÖAGG und am Seminar für Gruppenanalyse Zürich, tätig in freier Praxis. Adjunct Professor für Psychologie an der Webster Private University Vienna, ehemals Leiterin des ÖAGG-Weiterbildungslehrgangs 'Mentalisieren in der Psychotherapie und Beratung', Mitherausgeberin der Zeitschrift »Gruppenpsychotherapie und Gruppendynamik - Zeitschrift für Theorie und Praxis der Gruppenanalyse«.

Kapitel 1

Die Macht der Worte


Es gibt kaum etwas, das den Menschen mehr Angst macht als die Erfahrung einer Psychose. Gleichzeitig gibt es kaum ein Wort, das einen psychischen Zustand zu beschreiben versucht und dabei mehr Schrecken verbreitet als der Begriff »Schizophrenie«,[1] was Behandlerinnen, die mit Psychose-Erkrankten und deren Angehörigen zu tun haben, bestens wissen. Die Vorstellungen und Fantasien, die sich im allgemeinen Sprachgebrauch um diesen Begriff ranken, werden mit Eigenschaften wie Unberechenbarkeit, Aggressivität und Gefährlichkeit assoziiert. Er habe geradezu ein Eigenleben entwickelt und sei daher besser, wenn überhaupt, mit Vorsicht zu verwenden (Katschnig 1989).

Andererseits ist gerade das sogenannte »schizophrene« Erleben prototypisch für die Erforschung des menschlichen Geistes, da es die fundamentalste Beeinträchtigung der Persönlichkeit darstellt und dabei die grundlegendsten Funktionen unseres Selbsterlebens betroffen sind, wie z. B. das Gefühl von Individualität, Einzigartigkeit und Selbststeuerung. Gemeint sind hier die Art und Weise, wie wir uns im Zusammensein mit anderen erleben, Daniel Sterns »ways-of-being-with others« (Parnas et al. 2005;Stern 1974;Stern et al. 1998) und wie wir uns in der Welt verankert fühlen (Sass& Pienkos 2013;Sass et al. 2017;Stanghellini& Ballerini 2011).

Diese Erlebensweisen entwickeln sich im Laufe der Kindheit und des Jugendalters und werden auf allen Bereichen verallgemeinernd in unser Selbsterleben eingebaut (Hipólito et al. 2018). Menschen mit aktuellen Psychose-Erfahrungen berichten von Beeinträchtigungen in ihrem Selbsterleben, insbesondere davon, wie sich ihre verschiedenen Erfahrungsmodalitäten des Denkens, Wollens, Fühlens, usw. ausdrücken (Fuchs 2022). Eine Teilnahme am sozialen Leben wird dadurch schnell zur Überforderung. Die Vermittlung und das Verständnis mimischer und gestischer Signale oder Intentionen von Emotionen stellen zunehmend eine Hürde dar. Verzerrte Einschätzungen, eine erhöhte Gewissheit bei gleichzeitig vorschnellem Beurteilen einer Situation, Schwierigkeiten beim Perspektivenwechsel können die Kontaktaufnahme erschweren und führen zu sozialer Isolation. In der Folge kann ein jahrelanger sozialer Ausschluss diese Beeinträchtigungen im empathischen Mitschwingen und damit im Gewahrwerden des Selbst und des anderen verschlimmern.

Wie kann mit einer entsprechenden mentalisierungsfördernden Haltung und Vorgehensweise diesen Schwierigkeiten Rechnung getragen werden und so die Therapie für die Betroffenen hilfreich und von Nutzen sein? Menschen mit Psychose-Erfahrungen brauchen besonders dringend eine auf sie abgestimmte und modifizierte Psychotherapie, da die Beeinträchtigungen im Mentalisieren meist ausgeprägter und anhaltender sind als bei anderen strukturellen Erkrankungen (Lempa et al. 2016). Einbrüche im Mentalisieren gibt es bei Menschen, die die Diagnose »Schizophrenie« erhalten, allerdings nicht nur aufseiten der Betroffenen, sondern auch in deren Umfeld, wie später noch genauer ausgeführt wird.

In der Psychosen-Behandlung ist die Mentalisierungsfähigkeit sowohl der Betroffenen als der Therapeutinnen von außerordentlicher Bedeutung, da die Hürden und Hindernisse in sehr subtilen, oftmals schwer erkennbaren Bereichen der Kommunikation und Interaktion auftreten, wie etwa in einer verringerten Abstimmung und im emotionalen Mitschwingen, in abweichender Synchronizität, etwa in der Gestik, der Mimik und in der emotionalen Prosodie. Ängste und Zuschreibungen im Zusammenhang mit der Stigmatisierung von Menschen mit Psychosen beeinträchtigen das Mentalisieren also bei allen Beteiligten. Betroffenen den Einstieg in die Psychotherapie zu erleichtern und die Verweildauer in der therapeutischen Beziehung zu verlängern, ist daher bei Psychose-Erkrankungen besonders wichtig.

1.1 »Das ist doch schizophren!« – Ein umstrittener Begriff


»Das tut weh: Schizophrenie. Das tut weh. Ich bin nicht dieses Wort« (Schmidt 2020, S. 13).

Nicht selten hören wir Bemerkungen wie: »Was der macht, ist doch völlig schizophren«, oder wir sehen bestimmte gesellschaftliche Ereignisse als »total schizo