Wir sehen die Welt nicht so, wie sie ist, wir sehen sie so, wie wir sind.
Talmud
Seit einigen Jahren gebe ich Seminare und Coachings für Unternehmen und halte Vorträge. Meine Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind Führungskräfte, Mitarbeitende und Young Professionals. Wir, das HRperformance Institut, haben das große Glück, eine sehr stabile und gute Auftragslage zu haben. Aber seitdem ich mich mit dem Thema »Generationenvielfalt« beschäftige, bekomme ich noch viel mehr Anfragen und Aufträge als sonst schon. Es knirscht in vielen Unternehmen, unter anderem aufgrund des fehlenden Verständnisses für unterschiedliche Generationen, und nicht selten knallt es auch. »Uns hat schon wieder ein Trainee gekündigt, nachdem wir anderthalb Jahre in ihn investiert haben, um ihm alles beizubringen!«, heißt es schon im Vorgespräch. Oder: »WhatsApp, Instagram und Facebook haben auf dem Diensthandy nichts zu suchen, finden wir. Neulich hat ein Abteilungsleiter eine junge Mitarbeiterin deswegen abgemahnt. Seitdem ist die Abteilung in zwei Lager gespalten. Was sollen wir tun? Die Jungen müssen das doch einsehen!« Mir kommt spontan eine ältere Nachbarin in den Sinn, die mir regelmäßig ihr Leid klagt. Sie ist ebenfalls der Meinung, dass der »Junge« (ihr erwachsener Sohn) etwas »einsehen muss«: Statt sein Geld für Weltreisen und eine teure Kameraausrüstung zu verpulvern, solle er lieber etwas für seine Altersvorsorge tun!
Um in Unternehmen der spontanen Empörung ein wenig die Spitze zu nehmen, frage ich erboste Führungskräfte manchmal, ob sie schon mal im Zoo gewesen sind. »Natürlich!«, heißt es dann leicht irritiert. Haben Sie dort Lieblingstiere? Auch da ist sind die Antworten vorhersehbar, denn wie jedes Kind können sich auch Erwachsene für bestimmte Tiere begeistern. Affen haben viele Anhänger, weil sie so toll klettern können. Pinguine, weil sie im Wasser so elegant und blitzschnell sind. Aber ich habe noch niemanden getroffen, der den Affen vorwirft, dass sie schlechte Schwimmer sind, oder Pinguinen, dass sie nicht klettern können. Warum handeln wir im Alltag anders und kritisieren unser menschliches Gegenüber für Verhaltensweisen, die für ihn oder sie ganz »natürlich«, weil Teil der eigenen Persönlichkeit sind?
Wer sich selbst versteht, kann andere besser verstehen. Ich möchte Sie daher mitnehmen auf eine Reise ins eigene Ich. Diese Reise folgt der Entstehung und Entwicklung Ihrer Persönlichkeit. Bevor wir uns auf den Weg machen, brauchen wir natürlich eine Landkarte. Eine sehr gute Karte für ein besseres Verständnis persönlicher Eigenschaften und Verhaltensweisen stammt von dem US-Psychologen Dan McAdams. Er beschäftigt sich mit der Frage, welche Einflüsse die Persönlichkeit eines Menschen formen. Was ist dafür verantwortlich, dass wir so urteilen, fühlen, handeln, wie wir es tun? McAdams hat zusammen mit einem Forscherteam das Modell der »New Big Five« entwickelt, mit drei zentralen Säulen und »Gene« und »Umwelt« als gegenüberliegenden Polen (vgl.Abbildung 2).
Abb. 2: Persönlichkeitsbildung (frei nach dem Modell der »New Big Five« von Dan McAdams)
Um mit der linken Säule, ganz nah bei den Genen, zu beginnen: Wir alle kommen mit bestimmten genetischen Veranlagungen auf die Welt, die nicht nur unsere Körpergröße, Augen- oder Haarfarbe betreffen, sondern auch bestimmte Begabungen, Motive (wie z. B. das