Wenn Träume deinen Alltag stören
Suchend blicke ich in den Hamburger Himmel. Die grauen Betonblöcke um mich herum nehmen mir die Sicht. Jetzt bin ich 32, unterrichte seit einigen Jahren Sport, Deutsch und Englisch an einem Gymnasium und habe in diversen Ferien in Hängematten in Zentralamerika gechillt, Berge in Sri Lanka bestiegen, mir das Herz frei und die Füße auf Jakobswegen wund gelaufen, in Lehmhütten auf Dörfern in Kenia nachts den Ratten zugehört, Wale im Pazifik bestaunt und die Toskana durchradelt. Ja, ich habe das Reisen schon immer geliebt. Vielleicht ist es das Gefühl der Restauration, das ich unterwegs empfinde, was das Reisen so besonders für mich macht. Es mag unheimlich klingen, aber auf meinen Trips durch die Welt habe ich schon manches Mal gedacht, dass es nicht schlimm wäre, heute zu sterben, weil ich mitten im Strom war, das Leben im Überfluss gespürt habe. Reisen ist die Chance, abseits vom Druck der Gesellschaft ehrlich mit mir selbst zu sein, fernab von Konventionen, die vorgeben, Teil deines Lebenskonzepts zu sein.
Ein Traum, dem du heute nicht nachgehst, kann dich den Rest deines Lebens verfolgen, heißt es. Und ich träume davon, diesen weiten Horizont wiederzufinden.
Das Fernweh hat bei mir die Eigenart, in Wellen zu kommen, und in den letzten Monaten fühlt es sich an, als würde ich darin ertrinken. Das Leben rauscht wie ein rasender ICE an mir vorbei. Der Tag hat zu wenig Stunden für all die Aufgaben, die bearbeitet werden wollen. Draußen hinter dem grauen Papierstapel eine bunte Welt, deren Einladung ich mit erneuter Aufschiebung vertröste. Kann jemand kurz den schnell rotierenden Globus anhalten, bevor mir in meinem kleinen Mikrokosmos, im Betondschungel, die Lampen durchknallen? Der Tag wird zum Zeitbrei, in dem die Klumpen der To-do-Listen stecken, die ich nicht mehr auslöffeln kann, weil sie sich wie von Zauberhand vermehren. Die Stunden überschlagen sich. Mir fehlt Zeit, Zeit für Menschen, Zeit zum Innehalten.
„Veränderung!“, schreit mein Herz. „Routine!“, tickt die Uhr verdutzt zurück und vernebelt die Wahrnehmung, lässt jede Stunde von acht bis siebzehn Uhr so rasch vergehen, dass sich weder Empörung noch Erstaunen einen Weg bahnen können. Irgendwo auf dem Weg von A nach B habe ich verlernt, die Welt zu lesen, habe verlernt, wahrzunehmen.
Meine Familie und meine Freunde bedeuten mir alles, mein Job ist ein Segen, ich bin gesund. Eigentlich ist alles gut. Und dennoch ist da dieses subtile, aber nicht mehr länger zu verleugnende Gefühl, gerade nicht am richtigen Ort zu sein. Ich bin mir nur über eins im Klaren: Ich muss raus. „Wo ist die Schönheit?“, fragt mein Herz und die Augen schauen suchend umher. „Wo ist die Ruhe?“, fragt der erschöpfte Kopf und spinnt das Gedankenrad weiter. „An mir liegt’s nicht!“, flüstert das Herz. „Ich könnte los!“
Ich habe Heimweh nach einem Ort, an dem ich noch nie war. Und ich weiß, es gibt diesen Ort, an dem ich das wiederfinde, was ich hier irgendwie verloren habe.
Träume – jeder von uns hat sie, auch wenn man sie häufig ganz unwillkürlich in die „Irgendwann-mal-Akte“ einsortiert. Dabei sind Träume unser innerer Motor. Sie geben uns ein Ziel und die Hoffnung, dass sich das lang Ersehnte irgendwann noch erreichen lässt. Gleichzeitig machen sie uns Angst, weil sie Veränderung erfordern. Wir werfen sie über Bord, wenn sie uns nicht realisierbar erscheinen, und sie versinken wie eine kleine silberne Kette auf dem Meeresgrund. Was bleibt, sind Leere und der fortwährende Wunsch nach etwas anderem, nach mehr. Und damit können wir auf genau zwei Arten umgehen: Ich kann der Veränderung in meinen Gedanken Raum geben, damit sie sich einen Weg bahnen kann, oder aber ich muss dem Raumschiff der Träume zuschauen, wie es langsam im All der Bedeutungslosigkeit verschwindet, bis der Anblick aus dem Fenster nicht mehr wehtut. Ich bin immer nur genau ei