Europäisches Lobbying Ein Berufsfeld zwischen Professionalismus und Aktivismus
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Christian Lahusen
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Europäisches Lobbying Ein Berufsfeld zwischen Professionalismus und Aktivismus
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Campus Verlag
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9783593443911
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1
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CHF 42.60
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Politische Soziologie
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German
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460
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Wasserzeichen/DRM
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PC/MAC/eReader/Tablet
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PDF
Seitdem es die Europäische Union gibt, bemühen sich Interessengruppen darum, europäische Politik zu beeinflussen. Dieses Buch richtet den Blick auf das Personal: Wer betreibt in der Europäischen Union Lobbying? Welche Personen, Laufbahnen, Wissensbestände, Arbeitspraktiken und Einstellungen stehen dahinter? Christian Lahusen beantwortet diese Fragen auf der Grundlage eines umfangreichen Datensatzes. So zeigt er nicht zuletzt, dass es sich um ein fest etabliertes und professionalisiertes Berufsfeld handelt, das davon abweichende Formen der Interessenvertretung marginalisiert.
Christian Lahusen ist Professor für Soziologie an der Universität Siegen.
1 Einleitung Lobbying ist Teil des politischen Alltags der Europäischen Union. Bemerkenswert ist vor allem das hohe Maß an Normalität, das der politischen Interessenvertretung zugeschrieben wird. Die Zahl der Verbände, Unternehmen und Vereinigungen ist groß, die eigene Büros in Brüssel unterhalten, um europäische Politik aus nächster Nähe verfolgen und beeinflussen zu können. Zahlreich sind aber auch die Gelegenheiten, die sie zur Artikulation ihrer Interessen nutzen, da europäische Gesetzgebungsverfahren verschiedene Formen der Konsultation vorsehen, gleichwie europäische Lobbygruppen das Gespräch mit Mitgliedern der europäischen Institutionen (Kommission, Parlament und Ministerrat) auch jenseits formaler Verfahren suchen. Auf dieser Grundlage entstehen dauerhafte Kontakte, die von den beteiligten Akteuren als ein normales und sinnvolles Element der politischen Willensbildung betrachtet werden. Tatsächlich scheint Lobbying der vorherrschenden Meinung zufolge mehr Nutzen zu bringen als Schaden anzurichten. Es müsse zwar davon ausgegangen werden, dass Lobbygruppen vor allem eigene Interessen und Ziele verfolgen. Die europäischen Institutionen seien aber durchaus in der Lage, die vorgelegten Informationen, Einschätzungen und Forderungen zu nutzen, um politische Entscheidungen zu treffen, die ein höheres Maß an Ausgewogenheit, Angemessenheit und Effektivität besitzen. Zugleich könne die Breite der Beteiligung auch demokratischen Ansprüchen gerecht werden, da Lobbying dafür sorge, dass gesellschaftliche Themen und Interessen auch jenseits periodischer Wahlen an die europäischen Institutionen herangetragen werden. Eine sinnvolle Beteiligung von Interessengruppen könne folglich die Kluft zwischen der EU und den nationalen Gesellschaften überbrücken helfen. Die Normalität des europäischen Lobbyings steht aber auch in der Kritik. Es wird der grundlegende Vorbehalt geäußert, dass europäische Interessengruppen zu viel Einfluss auf gewählte Politikerinnen und Politiker haben. Sie riskieren, zu bloßen Erfüllungsgehilfen mächtiger Interessengruppen zu werden. Aber auch diejenigen, die eine weniger grundsätzliche Kritik üben, geben ihr Unbehagen an der Vielzahl der Interessengruppen kund, die sich im Wettstreit um Einfluss befinden. Dies könne die politische Willensbildung und Entscheidungsfindung innerhalb wie auch zwischen den europäischen Institutionen erschweren und damit die Funktionsweise der EU behindern. Diese Kritik kommt auch aus den Reihen der europäischen Interessengruppen selbst, denn der Wettstreit erhöht den Aufwand, den die einzelnen Lobbyistinnen und Lobbyisten betreiben müssen und kann beträchtliche Ressourcen binden. Schließlich bemängeln lobbyingkritische Nichtregierungsorganisationen unlautere oder illegale Geschäftspraktiken einzelner Interessengruppen. Vor allem aber werden strukturelle Ungleichgewichte und systematische Legitimitätsdefizite angeprangert, etwa die Übervölkerung Brüssels mit Lobbyistinnen und Lobbyisten, die Übermacht bestimmter Interessengruppen gegenüber anderen gesellschaftlichen Kreisen oder die Aggressivität mancher Lobbygruppen. Europäisches Lobbying ist ein brisantes öffentliches Thema, das aber auch die wissenschaftliche Forschung auf den Plan gerufen hat. Zahlreich sind die Studien, die sich mit diesem Thema befassen und auf diese Weise die besondere Bedeutung der europäischen Interessenvertretung im politischen Alltag der EU bestätigen. Hierauf soll im folgenden Kapitel näher eingegangen werden. Das wissenschaftliche Interesse hat aber nicht nur mit der politischen Relevanz und Brisanz zu tun, sondern entzündet sich auch an der Vielschichtigkeit und Unübersichtlichkeit des Gegenstandes. Europäisches Lobbying ist kein Tätigkeitsbereich, der sich leicht definieren, vermessen und verstehen lässt. Bei näherer Betrachtung stellt er sich als vielschichtig und diffus, dynamisch und wandelbar heraus, womit er trotz der großen Zahl an Studien und Befunden die wissenschaftliche Neugierde weiterhin wachhält. Unproblematisch dürfte der Versuch sein, den Kernbereich des Tätigkeitsfeldes auszumachen. Lobbying umfasst zunächst alle aktiven Bemühungen, das Abstimmungsverhalten politischer Entscheidungsträgerinnen und -träger zu beeinflussen. Zu diesen Bemühungen gehören Aktivitäten wie beispielsweise die Mobilisierung der eigenen Mitgliedsbasis, die Durchführung öffentlicher Kampagnen, die Mitwirkung an Anhörungen oder Ausschusssitzungen und die Vorlage von Formulierungsvorschlägen für anstehende Gesetzgebungsverfahren. Weniger eindeutig fällt das Bild aus, sobald es um die Rolle von Sachverstand und Expertise geht. In Vorbereitung auf politische Entscheidungen innerhalb der Kommission und des Parlaments werden zahlreiche Informationen und Fakten gesammelt, Berichte und Analysen erstellt, wissenschaftliche Studien in Auftrag gegeben oder Fachexpertinnen und -experten angehört. Als Lobbying sind diese Täti
Inhalt
6
1Einleitung
10
1.1Forschungsansatz und Fragestellung
15
1.2Empirische Forschungsdaten und Danksagung
19
2 Lobbyisten im Fadenkreuz der Forschung
29
2.1Europäisches Lobbying als Organisationsfeld
31
2.2Europäisches Lobbying als Berufsfeld
45
2.3 Die Konstituierung des Berufsfeldes: eine theoretische Verortung
61
3Die Genese des Arbeitsfelds: Innenansichten
72
3.1Entwicklungslinien und kritische Wegscheiden
74
3.2 Kompetitives Lobbying: die Steigerungsdynamiken im aktuellen Feld
103
3.3 Der Blick zurück: Genese eines Feldes professioneller Tätigkeit
117
4Das Lobbyingpersonal: Strukturen, Profile, Selbstverständnisse
120
4.1 Die EU-Affairs-Professionals: die Konturen und Strukturen des Personals
122
4.2 EU-Affairs und Lobbying: Tätigkeitsschwerpunkte und Selbstverständnisse
148
4.3 Das Tätigkeitsfeld der EU-Affairs: Aufgabenvielfalt und Multitasking
162
4.4Fazit: ein Arbeitsfeld mit ausfransenden Rändern
186
5 Die Verberuflichung des Lobbyings: Strukturierung und Schließung berufsmäßiger Beschäftigung
190
5.1Die berufliche Struktur des Arbeitsfeldes: Beschäftigungsformen
191
5.2 Die sektorale Durchlässigkeit des Berufsfeldes: multiple Berufserfahrungen
206
5.3 Normierte Laufbahnen: Berufseinstiege in ein etabliertes Feld
222
5.4 Die Welt der EU Affairs: berufliche Ambitionen und Karrieren
244
5.5Fazit: die normierende Kraft des Berufsfeldes
252
6 Die Professionalisierung des Lobbyings: Strukturierung und Schließung professionellen Wissens
254
6.1Die Akademisierung des Berufsfeldes: Verdrängungsprozesse
256
6.2Die Kanonisierung des Wissens: spezialisierte Expertise
274
6.3 Die Schließung des Berufsfeldes: Berufspraxis als Kapitalakkumulation
284
6.4Professionelle Distinktion: Zugänge zur Macht
320
6.5 Fazit: die professionelle Schließung eines heterogenen Berufsfeldes
348
7Die Legitimität des europäischen Lobbyings: Spaltungen und Konflikte eines politischen Feldes
352
7.1Das professionalistische Ethos: eine gemeinsame Mission?
354
7.2 Professionelle Anerkennung: externe und interne Legitimität
366
7.3 EU-Lobbying als umkämpftes Feld: Legitimierung und Delegitimierung
383
7.4 Fazit: Lobbying zwischen Professionalismus und Aktivismus
407
8 Europäisches Lobbying: Befunde und Implikationen
410
8.1 Lobbying als Berufsfeld: professionelle Positionen und soziale Distinktion
411
8.2Dynamiken und offene Fragen
421
8.3Implikationen
428
Literatur
438