1 Herzinfarkt: Epidemie des 20. Jahrhunderts
Der schlechte Ruf des Cholesterins beruht darauf, dass es für einen großen Teil der arteriosklerotischen Erkrankungen verantwortlich gemacht wird.
Sie werden vielleicht staunen, wenn ich Ihnen sage, dass der Herzinfarkt für den Menschen eine sehr seltene Erkrankung ist. Sie alle wissen, dass die Realität anders aussieht. Wann immer Sie einen Notarztwagen sehen, dürfen Sie davon ausgehen, dass mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit ein Mensch mit einem akuten Herzinfarkt um sein Leben kämpft. Knapp 300 000 Herzinfarkte in Deutschland in jedem Jahr, etwa 50 000 akute Todesfälle durch Herzinfarkt sprechen eine deutliche Sprache. Und da behaupte ich einfach, der Herzinfarkt kommt fast gar nicht vor …? Und doch habe ich recht.
Noch vor drei Generationen, am Ende des 19. Jahrhunderts, waren Herzinfarkte wirklich extrem selten – und das lag nicht nur daran, dass Menschen generell nicht sehr alt wurden oder in jungen Jahren beispielsweise an Infektionen starben. Auch diejenigen, die alt wurden, hatten weit weniger Herzprobleme als unsere heutigen Senioren. Der Herzinfarkt ist die Krankheit des 20. Jahrhunderts. Epidemieartig begann sie sich auszubreiten. Um die Mitte des letzten Jahrhunderts war es nicht mehr zu übersehen. Die Ärzte versuchten, die Ursachen hierfür herauszubekommen.
1.1 Cholesterin ist an Gefäßerkrankungen beteiligt
Ein fiktives Beispiel: Ich habe entdeckt, dass Lungenkrebspatienten zufällig häufig gelbe Zeige- und Mittelfinger haben. Nun behaupte ich Folgendes: Wenn ich die Finger entfärbe, kann ich Lungenkrebs vorbeugen. Sie alle wissen, dass das natürlich Unsinn ist. Raucher haben oft gelbe Finger. Rauchen verursacht Lungenkrebs. Darum haben Lungenkrebspatienten häufig gelbe Finger. Die gelben Finger sind ein Risikoindikator, kein Risikofaktor. Was macht uns so sicher, dass dies beim Cholesterin anders ist? Wenn wir therapeutisch intervenieren, d. h., wenn wir den vermuteten Risikofaktor beseitigen und wenn dann die Erkrankung seltener auftritt, dann ist das ein Beweis für einen Risikofaktor. Man hat Anfang der 1960er-Jahre das Cholesterin in Studien medikamentös gesenkt. Und siehe da: Unter den Behandelten gab es ein Viertel weniger Herztodesfälle als in der mit einem Scheinmedikament (Placebo) behandelten Gruppe.
Dies ist der Beweis, dass das Cholesterin wirklich ursächlich (wenn auch nicht als alleinige und zwingende Ursache) an der Entstehung der Gefäßverkalkungen beteiligt ist. Leider gab es sowohl in der mit den Fettsenkern (Fibraten) als auch in der scheinbehandelten Gruppe insgesamt genauso viele Todesfälle. Es starben nämlich mehr durch Unfälle, Gewaltverbrechen, Selbstmorde etc. Dies ist merkwürdig u