: Peter Handke
: Das zweite Schwert Eine Maigeschichte
: Suhrkamp
: 9783518766163
: 1
: CHF 13.00
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 157
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB

Zurückgekehrt nach jahrelangem Unterwegssein in die Gegend südwestlich von Paris, drängt es den Helden drei Tage später bereits zu einem erneuten Aufbruch. Er will Rache nehmen an einer Journalistin, die seine Mutter in einem Zeitungsartikel denunziert hatte, dem Anschluß ihres Landes an Deutschland zugejubelt zu haben. Eine wahrheitswidrige Behauptung. »?Das also ist das Gesicht eines Rächers!? sagte ich zu mir selber, als ich mich an dem bewußten Morgen, bevor ich mich auf den Weg machte, im Spiegel ansah.«

»Ich hatte mir keinerlei Plan ausgedacht oder festgesetzt. Weder mit einem bestimmten Bewegungs- und Ortsplan war ich aufgebrochen noch mit einem sonstigen. Es hatte zu geschehen: So war es in mich eingeschrieben, und das hatte mich auf die Beine gebracht.« Und so mündet der Rachefeldzug in ein Fest, eine bewusste Entscheidung des Erzählers Peter Handke: In die geschriebene Geschichte erhält nur Zutritt, was in der Realgeschichte Bestand hat. Und umgekehrt: Sich vollziehende Geschichte erlangt nur Wirklichkeit, wenn sie des Erzählens wert ist.

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<p>Peter Handke wird am 6. Dezember 1942 in Griffen (Kärnten) geboren. Die Familie mütterlicherseits gehört zur slowenischen Minderheit inÖsterreich; der Vater, ein Deutscher, war in Folge des Zweiten Weltkriegs nach Kärnten gekommen. Zwischen 1954 und 1959 besucht Handke das Gymnasium in Tanzenberg (Kärnten) und das dazugehörige Internat. Nach dem Abitur im Jahr 1961 studiert er in Graz Jura. Im März 1966, Peter Handke hat sein Studium vor der letzten und abschließenden Prüfung abgebrochen, erscheint sein erster Roman<em>Die Hornissen</em>. Im selben Jahr 1966 erfolgt die Inszenierung seines inzwischen legendären Theaterstücks<em>P blikumsbeschimpfung</em> in Frankfurt am Main in der Regie von Claus Peymann.</p><p>Se tdem hat er mehr als dreißig Erzählungen und Prosawerke verfasst, erinnert sei an:<em>Die Angst des Tormanns beim Elfmeter</em>(1970),< em>Wunschloses Unglück</em> (1972),<em>Der kurze Brief zum langen Abschied</em>(1972),< em>Die linkshändige Frau</em>(1976),<em& t;Das Gewicht der Welt</em> (1977),<em>Langsame Heimkehr</em>(1979),< em>Die Lehre der Sainte-Victoire</em>(19 0),<em>Der Chinese des Schmerzes</em>(1983),&l ;em> Die Wiederholung</em>(1986) <em>Versuchüber die Müdigkeit</em> (1989),<em>Versuchü ber die Jukebox</em> (1990),<em>Versuchü ber den geglückten Tag</em> (1991),<em>Mein Jahr in der Niemandsbucht</em>(1994 ,<em>Der Bildverlust</em>(2002), lt;em>Die Morawische Nacht</em> (2008),<em>Der Große Fall</em> (2011),<em>Versuchü ber den Stillen Ort</em> (2012),<em>Versuchü ber den Pilznarren</em> (2013).</p><p>Auf die<em>Publikumsbeschim fung</em>1966 folgt 1968, ebenfalls in Frankfurt am Main uraufgeführt,<em>K spar. V</em>on hier spannt sich der Bogen weiterüber<em>Der Rittüber den Bodensee</em>1971),< m>Die Unvernünftigen sterben aus</em>(1974),<em&g ;Über die Dörfer</em> (1981),<em>Das</em&g ;<em>Spiel vom Fragen oder Die Reise zum sonoren Land</em>(1990),<em& t;Die Stunde da wir nichts voneinander wußten</em> (1992),über den<em>Untertagblues< /em>(2004) und<em>Bis daß der Tag euch scheidet</em>(2009)&uum ;ber das dramatische Epos<em>Immer noch Sturm</em> (2011) bis zum Sommerdialog<em>Die schönen Tage von</em><em>Aranj ez</em>(2012) zu<em>Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße</em> (...

»Das also ist das Gesicht eines Rächers!« sagte ich zu mir, als ich mich an dem bewußten Morgen, bevor ich mich auf den Weg machte, im Spiegel ansah. Jener Satz kam vollkommen lautlos aus mir, und zugleich artikulierte ich ihn; bewegte, indem ich ihn still aussprach, überdeutlich die Lippen, wie um ihn mir von meinem Spiegelbild abzulesen und auswendig zu lernen, ein für alle Male.

Eine solche Art Selbstgespräch, womit ich mich doch sonst, so oder so, und das nicht erst seit den letzten Jahren, oft tagelang allein unterhielt, erfuhr ich in diesem Augenblick als etwas für meine Person Einmaliges, und dazu über mich hinaus Unerhörtes, in jedem Sinn.

So sprach und erschien ein menschliches Wesen, welches dabei war, nach vielen Jahren des Zögerns, des Aufschiebens, in den Zwischenzeiten auch des Vergessens, aus dem Haus zu gehen und die längst fällige Rache zu exekutieren, zwar – vielleicht – auf eigene Faust, doch jenseits dessen im Interesse der Welt und im Namen eines Weltgesetzes, oder auch bloß – warum »bloß«? – zum Aufschrecken und in der Folge Aufwecken einer Öffentlichkeit. Welcher? Derjenigen welcher.

Seltsam dabei: mir wurde, während ich so mich, den »Rächer«, in Gestalt der Ruhe in Person und der Instanz über sämtlichen sonstigen Instanzen im Spiegel betrachtete und wohl eine Stunde lang förmlich einstudierte, insbesondere das Augenpaar, von dem kaum einmal ein Wimpernzucken kam, zugleich zunehmend das Herz schwer und tat mir dann, weg vom Spiegel, weg von Haus und Gartentor, sogar weh.

Mein übliches Reden mit mir selbst war, jeweils gar wortreich, entweder ein nicht allein lautloses, sondern völlig ausdrucksloses und von niemandem – so bildete ich es mir wenigstens ein – bemerktes. Oder ich schrie es, allein im Haus und zugleich – wieder in der Einbildung – allein auf weiter Flur, aus mir heraus, in der Freude, in der Wut, in der Regel wortlos, bloße Schreie, ein jähes Aufschreien. Als Rächer nun aber öffnete, rundete, schürzte, spannte, verzerrte ich den Mund, riß ihn auf, stumm bleibend, in einem deutlichen, wie schon seit jeher, und eben ni