: Theodor Fontane
: Kriegsgefangen Erlebtes 1870
: Aufbau Verlag
: 9783841219824
: 1
: CHF 3.70
:
: Romanhafte Biographien
: German
: 240
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Fontanes persönlichstes Buch, die Schilderung seiner Gefangenschaft im Deutsch-Französischen Krieg. Verhaftet als vermeintlicher preußischer Spion. Im September 1870 reist Theodor Fontane nach Frankreich, um für sein Buch über den Deutsch-Französischen Krieg zu recherchieren. Am 5. Oktober wird er »zu Füßen der Jungfrau«, das heißt am Jeanne-d'Arc-Denkmal in Domrémy, verhaftet. Die Situation ist gefährlich: Dem Schriftsteller droht standrechtliche Erschießung. Schließlich wird er zwei Monate inhaftiert, zuletzt auf der Atlantikinsel Oléron. Hier entsteht, unter dem Eindruck des unmittelbar Erlebten, eines seiner schönsten und persönlichsten Prosawerke. Seine Überzeugung, dass hinterm Berge auch Leute wohnen, kann er selbst in dieser extremen Lage demonstrieren. »Theodor Fontane ist der wichtigste deutsche Romancier zwischen Goethe und Thomas Mann.« MARCEL REICH-RANICKI Mit einem Nachwort von Christine Hehle

THEODOR FONTANE wurde am 30. Dezember 1819 im märkischen Neuruppin geboren. Er erlernte den Apothekerberuf, den er 1849 aufgab, um sich als Journalist und freier Schriftsteller zu etablieren. Neben der Tätigkeit als Kriegsberichterstatter, Reiseschriftsteller und Theaterkritiker schuf er seine berühmt gewordenen Romane, Erzählungen und Erinnerungsbücher. Er starb 1898 in Berlin.

2. Neufchâteau


What may this mean,

That thou

Revisit’st thus the glimpses of the moon?

How now! a rat?

Hamlet

Die Blusenmänner schliefen; mein Nachbar, der Franktireur, aber plauderte und rauchte seine Zigarette. Er war frisch, patriotisch, bescheiden; meine Situation flößte ihm eine gewisse Teilnahme ein. Ich fragte nach dem Souspräfekten. Der Franktireur nannte mir den Namen: Mr. Cialandri, einKorse. Ich kann nicht sagen, daß mir bei diesem Zusatz besonders wohl geworden wäre. Ein Korse! Die Engländer haben ein Schul- und Kinderbuch, das den Titel führt: »Peter Parleys Reise um die Welt, oder was zu wissen not tut«. Gleich im ersten Kapitel werden die europäischen Nationen im Lapidarstil charakterisiert. DerHolländer wäscht sich viel und kaut Tabak; derRusse wäscht sich wenig und trinkt Branntwein; derTürke raucht und ruft Allah. Wie oft habe ich über Peter Parley gelacht. Im Grunde genommen stehen wir aber allen fremden Nationen gegenüber mehr oder weniger auf dem Peter-Parley-Standpunkt; es sind immer nur ein, zwei Dinge, die uns, wenn wir den Namen eines fremden Volkes hören, sofort entgegentreten: ein langer Zopf oder Schlitzaugen oder ein Nasenring. Unter einem Korsen hatte ich mir nie etwas anderes gedacht als einen kleinen braunen Kerl, der seinen Feind meuchlings niederschießt und drei Tage später von dem Bruder seines Feindes niedergeschossen wird. Man kann daraus abnehmen, welcher Trost mir aus der Mitteilung erwuchs, daß Mr. Cialandri ein Korse sei.

Es dunkelte schon, als wir in Neufchâteau einfuhren. Die Straßen waren wenig belebt; nach einigem Hin- und Herfragen hielten wir vor der Souspräfektur. Der Anblick war der freundlichste von der Welt. Ein Gitter, ein kiesbestreuter Vorhof, dahinter eine Villa, im italienischen Kastellstil aufgeführt. Das Baumaterial war roter Ziegel; Wein und Pfirsich rankten am Spalier. Nach erfolgter Anmeldung wurde ich treppauf geführt. In einem mit türkischem Teppich ausgelegten Salon saßen die Damen des Hauses; ein Diener brachte eben die Lampen; ich verneigte mich. Mr. Cialandri empfing mich an der Schwelle des dahinter gelegenen Zimmers, das dieselbe Eleganz zeigte: Marmorkamin, breite Spiegel, Fauteuils. Auf einem derselben wurde ich gebeten Platz zu nehmen. Mr. Cialandri setzte sich mir gegenüber. Das Kaminfeuer beleuchtete seine Züge.

Es war ein schmächtiger Mann, von vollkommen weltmännischer Tournure, dabei augenscheinlich krank. Er entschuldigte sich, daß er im Flüstertone sprechen müsse. Sein Auge war dunkel, sein Teint erdfahl; wenn sich irgendeine Blutrache an ihm vollzogen hatte, so konnte sie nur den Charakter anhaltender Aderlässe gehabt haben. Er drückte sein Bedauern aus, bei den Zeitläuften,