Auf dem Kiesweg, der zum Haus ihrer Großmutter führte, wuchs Löwenzahn. Die kleinen Blütensonnen zwängten ihre Köpfe durch die weißen und grauen Steine. Viel zu früh würden sie ergrauen, dachte Tessa, bevor sie ihren klapprigen Golf abschloss. Sie war froh, die lange Fahrt hinter sich gebracht zu haben. Seit dem Unfalltod ihrer Eltern fühlte sie sich nicht mehr wohl auf der Autobahn.
Dieses Haus, es barg so viele Erinnerungen. Sie hatte es beim Begräbnis ihrer Großmutter vor wenigen Wochen tunlichst vermieden, hierherzukommen. Der Schmerz wäreübermächtig geworden. Jetzt blieb ihr nichts mehr anderesübrig, als sich der Vergangenheit zu stellen. Tessa ging um das Haus herum, sah die halb offene Gartentüre und ging hinein.
Eigentlich sah der Garten aus wie immer, der winzige Teich unter dem alten knorrigen Kirschbaum, die morsche Holzbank davor, das Gemüsebeet mit dem mit Tannenwedeln abgedeckten Wirsingkohl daneben. Großmutter hatte ihn nicht mehr ernten können. Im Blumenbeet davor sprießten schon Vergissmeinnicht und Narzissen, zwar zaghaft noch, aber sicher in wenigen Tagen in voller Blüte. Der Forsythienstrauch in der Ecke verlor schon seine goldgelbe Blütenpracht und war durchzogen von grünen Blättern. Es hatte sich auf den ersten Blick nichts verändert, doch Tessa zwang sich, genauer hinzuschauen, und es gefiel ihr nicht, was sie sah.
Was früher als ein bisschen verwunschen erschien, zeigte sich heute als Vernachlässigung. Altes Laub zwischen den bemoosten Gehwegen, die noch immer umgedrehte Regentonne verschmutzt, verdorrte Grasbüschel daneben.
Sie setzte sich auf die Bank und dachte nach. Pfarrhofen, schon wieder. Dabei wollte sie diesen kleinen Ort in Unterfranken nach ihrem letzten Besuch für immer aus dem Bewusstsein streichen.
Der Brief des Notars hatte es vereitelt. Eigentlich hätte sie vor Freude tanzen müssen, schließlich unterrichtete er sie davon, dass sie geerbt hatte und ein Ende ihrer finanziellen Probleme endlich möglich schien.
Ihr Blick fiel auf einen Ast des Kirschbaums. Eine winzige Spinne seilte sich an ihrem Faden ab und sie beneidete sie um die Sicherheit, mit der sie vorging. Ihr schien, als sei das provisorische Sicherheitsnetz, das sie sich seit dem Tod ihrer Eltern gewebt hatte, zerrissen. Wieder einmal. Warum erschien ihr das Erbe nicht als Glück?
Es konnte nicht nur an Pfarrhofen liegen, dass sie sich so fühlte.
Dieses kleine bigotte Nest, mit seinenüberholten Moralvorstellungen, konnte sie doch wieder in die enge Schublade ablegen, in die es gehörte, wenn sie nach ihrer Rückkehr wieder Hamburgs frischen Wind spüren würde.
Der Brief war es, der sie die ganze Zeit verstörte. Wie ein Stein lag er in ihrer Tasche, und es ging etwas Bedrohliches von ihm aus. Lächerlich, dachte sie und griff entschlossen in ihre Handtasche. Sie nahm ihn heraus und zwang sich dazu, ihn endlich nicht nur zuüberfliegen. Erst jetzt konnte sie die Passage benennen, die sich in ihr Unterbewusstsein eingegraben hatte:‚Zu gleichen Teilen geerbt‘ mit ihrer Cousine Monika Huber. Das war es! Mona, nur zwei Jahre jünger als sie und ebenfalls Einzelkind, hätte ihr eigentlich, wenn schon nicht eine Schwester, dann zumindest eine Freundin sein können. Aber sie fühlte nur Unbehagen.
Lautes Scheppern weckte Mona und beendete einen Dämmerzustand, der mit Schlaf nicht viel zu tun hatte. Das Geräusch schickte Reize durch ihre Nervenbahnen, die sich wie Stromstöße anfühlten. Ein Motor heulte auf, ein Lastwagen schnaubte. Mona drückte ihren Kopf in das Kissen, ohne sich zu beruhigen. Wieder war er da, der Nervenschrei.
Widerst