: Sybille Bedford
: Zu Besuch bei Don Otavio Eine mexikanische Reise
: Piper Verlag
: 9783492991315
: 1
: CHF 9.00
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 432
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Das erste Werk von Sybille Bedford: ein bedeutendes und beglückendes Reisebuch Sybille Bedford will noch etwas mehr von der Neuen Welt sehen, bevor sie nach Kriegsende die Rückkehr in die Alte Welt plant. Ihre Reise nach Mexiko mit ihrer Freundin ist ganz spontan. Was sie sehen, hören und schmecken, wen sie treffen und was sie Aufregendes erleben in diesem schönen, rauen Land, erzählt Sybille Bedford mit der für sie typischen Frische und mit feinem Humor. »Man muss sich keineswegs für Mexiko interessieren, und man darf Reiseliteratur für ein hybrides, ja im Grunde überflüssiges Genre halten, um dieses Buch trotzdem herzlich zu lieben.« Eva Menasse, »Südddeutsche Zeitung«

Sybille Bedford, geboren 1911 in Berlin als Tochter des Barons von Schoenebeck und seiner englischen Gattin, wuchs in Deutschland, England, Italien und Frankreich auf. Als junges Mädchen lebte sie mit ihrer Mutter und deren zweitem Ehemann, einem Italiener, an der Côte d'Azur, dem Zufluchtsort für viele europäische Künstler und Intellektuelle der Zeit. Alle ihre Romane und Reiseerzählungen schöpfen aus ihrem reichen biographischen Hintergrund. Sybille Bedford hat außerdem viele Jahre als Gerichtsreporterin berühmten Prozessen beigewohnt und darüber für Esquire und Life berichtet. Sie starb 2006 in London.

Erstes Kapitel


Von New York nach Nuevo Laredo

Ô le pauvre amoureux des pays chimériques!

Der obere Teil der Grand Central Station ist groß und prächtig wie die Caracallathermen.

»Ihre Zimmer sind an der Isabel de la Catolica«, sagte Guillermo.

»Wie nett von Ihnen«, sagte ich.

»Pension Hernandez.«

»Wie ist’s denn dort?«

»Der Manager ist sehr unfreundlich. Er wollte mich nicht mal meine Kleider mitnehmen lassen, als ich verhaftet wurde. Aber Sie werden keinen Ärger haben.«

»Sonst noch was?« sagte ich.

»Schwer zu sagen«, meinte Guillermo. Seine Mutter war eine mexikanische Dame; sein Vater, so sagt Guillermo, war Schotte gewesen. Guillermo sah aus wie ein streunender Kater, nicht eben gepflegt; die Kunst des Überlebens schien seine einzige Stärke. »Freunde werden sich um Sie kümmern.«

»Was für Freunde?«

»Freunde. Sehr lieb und hilfreich.« Seine fiesen Fliegenaugen schweiften über den Boden. »Erwähnen Sie meinen Namen in der Pension nicht.«

»Ja, das wird wohl besser sein.«

»Viel besser«, sagte Guillermo.

Nach etlichen Jahren in den Vereinigten Staaten, wo man eine Eintrittskarte für einen erfolgreichen Film sechs Wochen im voraus bestellen muss und die Reservierung eines Hotelzimmers viel Geduld und Geschick verlangt und dann doch nur in letzter Minute und mit viel Glück gelingt, erwartet man schon nicht mehr, dass man sich wieder würde frei bewegen können. Nicht einmal für viel Geld und gute Worte könne man im Reforma in Mexiko-City etwas bekommen, hieß es beimAmerican Express. Man wolle ja gar nicht ins Reforma, erklärte man. Ja, aber im Ritz sei es genauso schlimm. An diesem Punkt gab man auf Daher also Guillermo, daher die Pension Hernandez. Guillermo war einsam und diensteifrig und überschlug sich, jeden unerdenklichen Wunsch auf eine denklich unerwünschte Weise zu erledigen.

»Wie wär’s mit einem Gläschen?« fragte er.

Wir saßen in der Bahnhofsbar und warteten. Zeit hatten wir genug. Die Koffer waren in den Händen von Gepäckträgern, und nach tagelangem Gehetze gab es mit einem Mal nichts mehr zu tun. Wir empfingen. Das heißt, alle möglichen Leute kamen vorbei, um uns zu verabschieden und uns und einander auf ein Glas einzuladen. Leute, die wir seit Jahren nicht gesehen hatten. Ankunft und Abreise sind die beiden großen Angelpunkte, um die sich in Amerika das gesellschaftliche Leben dreht. Man kommt an. Man hat sein Empfehlungsschreiben parat. Man ist augenblicklich von einer großen, vagen Erwartung umgeben. Man mag berühmt sein; man mag schön sein, geistvoll oder reich; vielleicht sogar liebenswürdig. Was jedoch zählt: man istneu. In Europa, wo menschliche Beziehungen ebenso dauerhaft sein sollen wie Kleider, muss man etwas aushalten können. In Frankreich muss man interessant, in Italien angenehm sein, in England muss man »sich einfugen«. Hier, wo der Umgang von Mensch zu Mensch keine Abstufungen kennt,sans lendemain ist, wo ausländische Besucher Konsumgüter sind, ist es eine Sache des Umsatzes. Man wird aufgenommen, ausgeführt, mitgenommen, eingeführt, Partys werden für einen gegeben, und schwupps, bevor man noch sagen kann, man lebt in Amerika, sind schon die Abschiedspartys und die Proviantkörbe für den Dampfer da. Es werden einem die Wangen geküsst, die Schultern geklopft, die Hände gedrückt; man bekommt Flaschen, Präsente und Blumen geschickt, denn man »segelt« ab. Das große, leere Rad der Gastfreundschaft hat seine Umdrehung vollendet.

Diese letzten Tage haben Atmosphäre und Intensität, alles nimmt quantitativ