Kapitel Eins
Wenn ihn einmal jemand fragen sollte, ob es die Mühe wert war, seine Karriere beim Secret Service aufzugeben und mit dem Sohn des Präsidenten abzuhauen, würde Shane Kendrick antworten:Verdammte Scheiße, ja.
Aber heute Morgen in ihrem kleinen Zelt am Strand war ihm flau im Magen. Sein Herz raste. Rafa lag nicht warm und im Schlaf murmelnd neben ihm, und Shane grub seine Finger in das leere Laken. Die schrecklichen Bilder seines Traums waren noch zu gegenwärtig – Shanes Füße, die hoffnungslos feststeckten, während ihm Rafa weggenommen wurde.
Während er alleine aufwachte, erstickte Shane fast an seiner Panik. Galle stieg in seinem Hals auf. Nackt, wie er war, kroch er aus dem Zelt und kam auf die Füße. Bereit, davonzurennen. Bereit, zu kämpfen.
Er stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, als er Rafa sogleich wenige Meter entfernt bei der Wasserlinie ausmachte. Es war Mitte Juni, ein Montagmorgen auf einem abgelegenen Stück Strand nördlich von Byron Bay, was glücklicherweise hieß, dass sie den Ort für sich alleine hatten.
Shanes Herz schlug immer noch zu schnell. Schweiß benetzte seine Augenbrauen, während er beobachtete, wie Rafa in der Ferne durch die Brandung watete. Schaumiges Wasser floss um dessen Knöchel. Mit der gebräunten Haut und in dem lila Kapuzenpullover sah Rafa wie ein Einheimischer aus. Die Boardshorts hingen tief auf seinen schmalen Hüften. Er war verdammtschön, die zottigen Locken standen wild von seinem Kopf ab.
Die Welle kam mit einem polternden Gurgeln zurück, die Sonne stand bereits hoch am bewölkten Himmel. In der Nähe kreischte eine Möwe und flatterte mit den Flügeln, als sie sich mit einem anderen Vogel um einen Leckerbissen stritt, der an den goldenen Strand gespült worden war.
Shane atmete tief die frische Luft ein, um die nachklingende Anspannung in seinen Gliedern und das Hämmern seines Herzens zu vertreiben. Die Träume – na gut, Albträume – waren ähnlich, doch niemals gleich. Diesmal war es nicht Schlamm auf einer Raststelle gewesen, der zu Treibsand wurde und ihn herabzog, während Rafa von maskierten Männern fortgebracht wurde und um Hilfe schrie.
Nein, diesmal war der Treibsand an einem sonnigen Tag, auf einem perfekten Strand wie diesem aufgetaucht. Er hatte ihn in die Tiefe gesogen und an Ort und Stelle gelähmt. In seinem Traum hatte er immer und immer wieder versucht, seine Füße zu bewegen, aber seine Glieder waren nutzlos gewesen. Er schmeckte sein Blut, Schüsse hallten in seinen Ohren, während er sich abmühte. Doch er versagte kläglich, und die Silhouetten namenloser Männer zerrten Rafa außer Reichweite.
Shane sah zu ihm und atmete wieder die frische Seeluft ein – Salzwasser und Seetang und Sommer.
Du bist wach. Es geht ihm gut. Lass los.
Er schloss die Augen und zählte bis fünf. Wenn er sie öffnete, würde der Moment – der Nachhall des Albtraums, der ihn gequält hatte, offiziell vorbei sein. Sie hatten so eine friedliche Woche verbracht. Er konnte nicht zulassen, dass irgendetwas ihren letzten Tag ruinierte, bevor sie zurück nach Sydney gingen. Wenigstens hatte Rafa bereits das Zelt verlassen, als der Albtraum gekommen war. Shane wollte nicht, dass er sich wegen etwas so Unwichtigem Sorgen machte.
Die Träume hatten vor Kurzem angefangen, ohne Warnung und besonderen Grund. Shane wüsste nicht, warum sie nicht genauso schnell wieder verschwinden sollten. Kein Grund, einen Aufstand zu machen.
Na ja, okay