Pia-Luise Kirchhoff lehnte am Zaun der Koppel. Sie hatte die Arme auf die oberste Stange gelegt und beobachtete zufrieden ihre beiden Pferde, die durch das taufeuchte Gras schritten, hin und wieder ein Maul voll abrupften, jedes für sich auf der Suche nach der Stelle, an der das Gras am saftigsten war. Die aufgehende Sonne ließ die Tautropfen glitzern und das Fell der Pferde schimmern. Pia sah lächelnd zu, wie die beiden Pferde mit gesenktem Kopf über die große, mit hohen Bäumen bestandene Koppel zogen, und stieß einen zufriedenen Seufzer aus. Die schmerzliche und unschöne Trennung von Henning hatte, im Nachhinein betrachtet, nur Gutes gehabt. Nach sechzehn Jahren in der Stadt, in schicken und luxuriösen Altbauwohnungen im Frankfurter Westend und Sachsenhausen, nach sechzehn Jahren, in denen sie die Rolle der Ehefrau des Dr. Henning Kirchhoff gespielt hatte, war sie nun mit achtunddreißig Jahren ganz sie selbst. Glückliche Umstände hatten sie den kleinen Hof direkt an der A 66 Richtung Wiesbaden finden lassen, auf dem sie mit ihren beiden Pferden leben konnte. Statt eines BMW Cabrio fuhr sie jetzt einen Geländewagen. Die Designerkleider, in denen sie sich nie wohlgefühlt hatte, hatte sie gegen Jeans, Pullover und Arbeitsschuhe eingetauscht. Ihre Freizeit verbrachte sie damit, den kleinen Hof auf Vordermann zu bringen, die Pferdeboxen auszumisten, Stroh- und Heuballen zu stapeln und das Haus zu renovieren. Ein abgebrochener Fingernagel war längst keine Katastrophe mehr. Seit einem Monat arbeitete sie wieder in ihrem alten Beruf bei der Kriminalpolizei. Es war eine ebenso glückliche Fügung wie der Erwerb des Birkenhofs in Unterliederbach, dass sie eine Stelle beim erst vor zwei Jahren eingerichteten K11 der Hofheimer Kriminaldirektion bekommen hatte. Eigentlich hätte an diesem Wochenende ihr Kollege Frank Behnke Bereitschaftsdienst gehabt, aber als er sie gefragt hatte, ob sie den Dienst übernehmen könnte, hatte sie Ja gesagt. Es war Viertel nach sieben, als ihr die Leitstelle mitteilte,