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Ein Grab zu öffnen, war eine schwere, dreckige Arbeit.
Nur gut, dass schwere, dreckige Arbeit zu meinen Spezialitäten gehörte. Auch wenn das hier ein wenig aus dem Rahmen fiel. Als die Spinne, von Beruf Profikillerin, bringe ich Leute gewöhnlich eher unter die Erde, statt sie wieder herauszuholen.
Doch hier war ich nun, auf dem Blue-Ridge-Friedhof, um kurz nach zehn Uhr in dieser kalten Novembernacht. Winzige Schneeflocken trudelten aus den dunklen Wolken am Himmel und tanzten in der böigen Brise wie zerbrechliche Kristall-Elfen. Hin und wieder frischte der Wind auf, beschoss mich mit Wolken aus Schnee und presste mir eisige Flocken an die ausgekühlten Wangen.
Ich ignorierte den neuesten Ansturm von Schneeflocken auf mein Gesicht und grub weiter, so wie ich es schon seit einer Stunde tat. Die Schaufel in die gefrorene Erde zu bohren und sie dann auf einen Haufen zu kippen, hatte nur ein Gutes: Die wiederholte Bewegung hielt mich warm und gelenkig. Sonst wäre ich genauso kalt und steif geworden wie die Grabsteine um mich herum.
Trotz des Schnees gab es genug Licht, dank der altmodischen Straßenlaternen entlang der Hauptwege des Friedhofes. Eine der Lampen stand nur ungefähr fünf Meter von der Stelle entfernt, an der ich grub. Ihr goldenes Licht beschien den aufragenden Stein vor mir, sodass der eingemeißelte Name auf dem grauen Stein so dunkel hervortrat wie Blut.
Deirdre Shaw.
Die Mutter meines Ziehbruders, Finnegan Lane. Eine Eismagierin. Und eine potenziell gefährliche Feindin.
Vor einer Woche hatte ich eine Akte gefunden, die Fletcher Lane – Finns Vater und mein Profikiller-Mentor – in seinem Büro versteckt hatte. Und in der erklärt wurde, dass Deirdre mächtig, hinterlistig und verräterisch war – und bei Weitem nicht so tot, wie alle glaubten. Also war ich heute Abend hierhergekommen, um herauszufinden, ob sie sich wirklich die Radieschen von unten ansah. Ich hoffte, dass sie tot war und in ihrem Grab verrottete. Darauf gewettet hätte ich aber nicht.
Zu viele Dinge aus meiner eigenen Vergangenheit waren wieder aufgetaucht, um mich zu verfolgen, als dass ich etwas so Wichtiges dem Zufall überlassen hätte.
Plonk.
Meine Schaufel traf auf etwas Hartes, es klang wie Metall. Ich unterbrach meine Bewegungen und atmete tief durch, weil ich hoffte, den Geruch von Verfall wahrzunehmen. Doch ich roch nur den kalten, frischen Duft des Schnees, gepaart mit dem angenehmen Aroma reichhaltiger Erde. Weder Verwesung noch Tod und – wahrscheinlich – auch keine Leiche.
Eilig kratzte ich den Rest der Erde vom Sarg. Eine Rune war in den Deckel gestanzt – gezackte Eisscherben, die so zusammengefügt worden waren, dass sie ein Herz bildeten. Mein Magen verkrampfte sich vor Anspannung. Fletcher hatte dieselbe Rune auf den Deckel von Deirdre Shaws Akte gezeichnet. Das war definitiv das richtige Grab.
Ich stand bereits in der Grube, die ich gegraben hatte. Jetzt kratzte ich noch ein paar Erdbrocken weg, damit ich neben dem Kopfteil des Sarges in die Hocke gehen konnte. Der Metalldeckel war verschlossen, doch er durfte einfach zu lösen sein. Ich legte meine Schaufel zur Seite, zog meine schwarzen Handschuhe aus, hob die Hände und rief meine Eismagie. Die identischen Narben in meinen Handflächen – ein kleiner Kreis umgeben von acht dünnen Strichen – begannen im kalten, silbernen Licht meiner Macht zu glühen. Meine Spinnenrune – das Symbol für Geduld.
Als ich genug Magie hielt, senkte ich die Hände, legte meine Finger um die Schlösser am Sargdeckel und beschoss sie mit meiner Eismacht. Ich überzog die Schlösser mit einer ungefähr fünf Zentimeter dicken Eisschicht, dann schickte