: Elizabeth Strout
: Die langen Abende Roman - (Olive Kitteridge 2)
: Luchterhand Literaturverlag
: 9783641198046
: 1
: CHF 8.70
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: Erzählende Literatur
: German
: 352
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
'Mir fehlt die Küste von Maine auch', sagte Olive zu Jack. Und ab da war alles gut.
In Crosby, einer kleinen Stadt an der Küste von Maine, ist nicht viel los. Und doch enthalten die Geschichten über das Leben der Menschen dort die ganze Welt. Da ist Olive Kitteridge, pensionierte Lehrerin, die sich auch mit siebzig noch in alles einmischt, so barsch wie eh und je. Da ist Jack Kennison, einst Harvardprofessor, der ihre Nähe sucht. Beide vermissen ihre Kinder, die ihnen fremd geworden sind, woran Olive und Jack selbst nicht gerade unschuldig sind ... Ein bewegender Roman, der von Liebe und Verlust erzählt, vom Altern und der Einsamkeit, von Momenten des Glücks und des Staunens.

Elizabeth Strout wurde 1956 in Portland, Maine, geboren. Sie zählt zu den großen amerikanischen Erzählstimmen der Gegenwart. Ihre Bücher sind internationale Bestseller. Für ihren Roman 'Mit Blick aufs Meer' erhielt sie den Pulitzerpreis. 'Oh, William!' und 'Die Unvollkommenheit der Liebe' waren für den Man Booker Prize nominiert. 'Alles ist möglich' wurde mit dem Story Prize ausgezeichnet. 2022 wurde sie für ihr Gesamtwerk mit dem Siegfried Lenz Preis ausgezeichnet. Elizabeth Strout lebt in Maine und in New York City.

Zusammenstoß


An einem Samstag im Juni, kurz nach Mittag, setzte Jack Kennison die Sonnenbrille auf, ließ das Verdeck seines Sportwagens herunter, spannte den Gurt über seinen nicht eben kleinen Bauch und fuhr von Crosby, Maine, hinüber ins fast eine Stunde entfernte Portland, um sich seinen Whiskey dort zu kaufen, weil ihm nicht danach war, im hiesigen Lebensmittelladen Olive Kitteridge in die Arme zu laufen. Oder dieser anderen Frau, die ihn schon zweimal, während er mit seiner Flasche in der Hand dastand, in ein Gespräch übers Wetter verwickelt hatte. Über dasWetter! Wie sie hieß, wusste er jetzt nicht mehr, aber sie war auf jeden Fall auch eine Witwe.

Beim Fahren kam fast eine Art Ruhe über ihn, und in Portland angelangt, parkte er und ging hinunter ans Wasser. Langsam wurde es Sommer, und auch wenn es noch kühl war für Mitte Juni, war der Himmel doch blau, und über dem Hafen kreisten die Möwen. Überall waren Leute unterwegs, viele junge Paare mit Kindern oder Kinderwagen, und alle unterhielten sie sich. Das machte auf ihn den größten Eindruck. Wie selbstverständlich sie es offenbar fanden, zusammen zu sein, jemanden zum Reden zu haben! Niemand streifte ihn auch nur mit einem Blick, und so wenig neu die Erkenntnis an sich war, traf sie ihn nun doch auf neue Weise: Er war nur ein alter Mann mit einem Hängebauch, niemand mehr, den man wahrnahm. Fast hatte das etwas Befreiendes. Viele Jahre seines Lebens hindurch war er ein großer, gutaussehender Mann mit straffem Körper gewesen, der über das Universitätsgelände in Harvard schlenderte, und die Leute hatten ihn bemerkt, all diese Jahre war er es gewohnt gewesen, dass ihm die Studenten scheu nachsahen, und auch Frauen – auch von ihnen erntete er Blicke. Bei den Institutsversammlungen war er als einschüchternd herübergekommen, Kollegen hatten ihm das gesagt, und es wunderte ihn nicht, denn genau das war seine Absicht gewesen. An dem Kai, den er entlangbummelte, waren Wohnanlagen entstanden; vielleicht sollte er hierherziehen, ging es ihm durch den Kopf, Wasser ringsherum, Wasser und Menschen. Er zog das Handy aus der Tasche, sah rasch darauf und steckte es wieder weg. Seine Tochter, wie lange hatte er schon nicht mehr mit ihr gesprochen?

Aus einer der Wohnungen trat ein Paar etwa in seinem Alter, der Mann hatte auch einen Bauch, allerdings keinen so dicken wie Jack, und die Frau sah besorgt aus, aber aus der Art ihres Miteinanders schloss er, dass sie seit vielen Jahren verheiratet waren. »Das war’s jetzt«, hörte er die Frau sagen, und der Mann erwiderte etwas, und die Frau sagte: »Doch, das war’s.« Sie gingen an ihm vorbei (ohne ihn wahrzunehmen), und als er sich gleich darauf noch einmal umdrehte, sah er verblüfft – ein bisschen zumindest –, dass die Frau sich bei dem Mann eingehakt hatte, während sie davongingen, auf das kleine Stadtzentrum zu.

Jack stand am Ende des Kais und schaute aufs Meer hinaus; er sah in die eine Richtung, dann in die andere. Ein Wind, den er jetzt erst spürte, trieb schmale Schaumkronen vor sich her. Von hier aus ging die Fähre nach Nova Scotia, er und Betsy waren einmal damit gefahren. Drei N