Groove
Sommer 1998. Vor einem Jahr haben mir meine Eltern zum bestandenen Führerschein einen »kleinen Gebrauchten« geschenkt. Einen Fiat Panda: schwarz, mit Faltdach, schepperndem Kassettenradio und unglaublichen 34 Pferdestärken. In einer feierlichen Zeremonie haben meine Freunde und ich das Fahrzeug mit einer Flasche Bier getauft. Auf den NamenMoses. Weil dieser 40 Jahre gebraucht hat, um mit dem Volk Israel einmal quer durch die Wüste zu wandern – und weil »mein Moses« auch nicht der Schnellste ist.
Da zwischen Abi und Studium etwas Zeit ist, habe ich mich entschieden, gemeinsam mit Moses einen Roadtrip quer durch Frankreich zu machen. Im Gepäck: mein Rucksack, eine Landkarte (damals gab’s noch kein Google Maps) und drei einfachen Regeln:
1. Es gibt kein Ziel – höchstens eine Richtung
2. Sei spontan
3. Autobahnen sind verboten
Mit offenem Dach und mehreren ultimativen Mixtapes starten Moses und ich unsere Tour quer durch Frankreich – und erleben eines der schönsten Abenteuer meines Lebens. Wir grooven uns gen Süden ein und gondeln kreuz und quer durch das Land. Auf unserem Weg entdecken wir Landschaften, Dörfer und Städtchen, die wunderschön sind und oft halb verfallen. Dort, wo es uns gefällt, machen wir halt und genießen die Sommersonne.
Irgendwo in Burgund klopfe ich an einem alten Pfarrhaus und bitte um Unterkunft. Der Pfarrer hat gerade Freunde zu Besuch, und wir trinken zusammen bis spät in die Nacht Rotwein und quatschen. Ich schlafe in einem kleinen staubigen Zimmer auf dem Boden und ziehe am nächsten Morgen weiter. Irgendwo im Nirgendwo besichtige ich ein bizarres Museum mit rostenden Staatskarossen aus allerlei Ländern. Angeblich steht hier sogar das Auto, in dem Kennedy gestorben ist. Keine Ahnung, ob an der Geschichte was dran ist.
Zufällig bin ich während des Viertelfinales der Fußball-WM in Lyon und stehe umringt von Kroaten und Franzosen vor einer großen Leinwand, während Deutschland nur wenige Kilometer entfernt 0:3 gegen Kroatien verliert. Danach lädt mich ein junges französisches Pärchen auf ein »Trostbier« in eine Straßenkneipe ein. Auf dem Weg durch den Grand Canyon de Verdon gabele ich zwei Anhalterinnen auf. Wir bezwingen im zweiten Gang die steilen Serpentinenstraßen und reden über Gott und die Welt.
Es gäbe noch mehr lustige und schräge Momente von dieser Reise zu erzählen. Was bleibt, ist die Erinnerung an zwei unvergessliche Wochen. Und die Erfahrung, dass es sich absolut lohnt, ab und an ohne Ziel aufzubrechen und sich vom Leben überraschen zu lassen.
Umwege
Ob ich mal eben noch zehn Minuten Zeit habe, fragt mich Guto. Er ist der Besitzer der kleinen Pousada, in der ich seit vier Tagen zu Gast sein darf. Ich bin in Lavras Novas, einem kleinen zugigen Städtchen auf 1500 Metern Höhe in den Bergen Brasiliens. Mein Plan ist es, dass ich heute noch knapp 300 Kilometer über teilweise unbefestigte Straßen zu meinem nächsten Ziel fahre. Die Zeit ist knapp – und wenn ich pünktlich sein will, muss ich jetzt losfahren.
»Nur zehn Minuten, Carsten; keine große Sache.« Guto ist hartnäckig und will mich so schnell nicht ziehen lassen.
»Ich überlege kurz: Eigentlich will ich jetzt lieber direkt los. Das Auto ist fertig gepackt, und ich habe mir gerade zwei Aspirin eingeworfen, weil ich total verschnupft bin. Aber die Bitte abzuschlagen wäre irgendwie unhöflich, und zehn Minuten sind ja auch kein Ding. Also sage ich zu.
Guto packt mich in sein Auto, und wir holpern los. Erst jetzt komme ich auf die Idee, mal nachzufragen, was er eigentlich genau von mir will. Grinsend erzählt er, dass der Fernsehsender »Rede Minas Gerais« im Dorf ist und eine Reportage über Tourismus auf dem Land drehen möchte. Dazu suchen sie noch einen Hauptdarsteller, der mit dem Quad über die Berge fährt – die Reporterin als Sozius mit dabei. »Wie gesagt: nichts Großes. Und in zehn Minuten sitzt du wieder in deinem Auto und fährst los.