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Sie kam zweihundertundsiebzehn Tage nach der Beerdigung ihres Ehemanns zurück. Seine schwangere Geliebte hatte während der Beisetzung so laut geschluchzt, dass sie sich übergeben musste. Anahera hatte mit steinernem Gesichtsausdruck auf den glänzenden Mahagonisarg hinabgestarrt. Sie hatte ihn ausgesucht, weil sie wusste, dass Edward genau so etwas gewollt hätte. Schlichte Eleganz und Geld, das man nicht herzeigte, das war Edward gewesen. Der Schein war wichtiger gewesen als alles andere.
Seine Freunde hatten sie mitleidig angesehen, weil sie glaubten, dass ihr Kummer so groß sei, dass sie nicht einmal mehr weinen konnte.
Und die ganze Zeit hatte Edwards Geliebte geschluchzt.
Niemand kannte sie.
Anahera hatte nicht erklärt, wer diese Frau war.
Und sie hatte nicht geweint. Damals nicht. Und danach auch nicht.
Jetzt fuhr sie in dem dunkelgrünen Jeep, den sie unbesehen über das Internet gekauft und zum Flughafen hatte bringen lassen, zum letzten Halt auf ihrer langen Flugreise aus London.
Christchurch, Neuseeland.
Ein Land am Ende der Welt. So weit im Süden, dass sie nicht überrascht war, als ihr Pilot auf ein Frachtflugzeug zeigte, das für eine Forschungsstation in der Antarktis beladen wurde.
Wie viele Stunden war es her, seit sie durch das Abflugsgate in Heathrow gegangen war?
Sechsunddreißig? Achtunddreißig?
Irgendwann zwischen gestern und morgen hatte sie den Überblick verloren. Zwischen dem grauen Nieselregen einer Stadt voller Theater und Museen und dem kalten Sonnenlicht eines kaum zivilisierten Landes, das irgendwo im Ozean schwamm.
Edward hatte Städte gemocht.
Er und Anahera waren nie zusammen durch diese so ursprüngliche und ungezähmte Landschaft gefahren deren Bäume aus uralten Samen gewachsen waren, und deren Farne riesig und hoch standen und das Lied der Heimkehr sangen.
Tauti maki, hoki mai.
Und dieser Moment, ein Flüstern am Ende ihrer Reise, als sie auf einer zerklüfteten Klippe stand und auf die aufgewühlte See unter sich schaute. Nebel senkte sich auf die Baumkronen, ein leichter, feiner Regen fiel und löste sich auf, bevor er sie erreichte.
Dunkelgraues Wasser krachte gegen harten schwarzen Felsen und spritzte schaumig weiß empor, nur um unter der Gewalt der nächsten hohen Welle wieder zu verschwinden. Das Wasser erstreckte sich endlos, eine aufgewühlte Weite, die so ganz anders war als die europäischen Strände, die sie mit Edward besucht hatte. Man konnte hier nicht im Wasser schwimmen, es sei denn, man wollte in die kalten Arme des Ozeans hinausgezogen werden, aber seine Schönheit berührte Anaheras Herz, ließ es sich schmerzhaft zusammenziehen.
Sie hätte ewig zuschauen können, würde das vielleicht auch tun, sobald sie wieder in der Hütte war. Josie hatte ihr gesagt, dass sie noch stand – und dass niemand die Fensterscheiben eingeschlagen hatte.
Vielleicht aus Respekt. Oder aus Angst.
Für manche war die Hütte ein Geisterort.
Für Josie war es der Ort, an dem Anahera und sie einst auf der Veranda gesessen und gelacht hatten, zwei Neunzehnjährige, die noch ihr ganzes Leben vor sich hatten. Ihre beste Freundin aus der Highschool war der einzige Mensch, mit dem Anahera seit ihrer Abreise aus Golden Cove den Kontakt gehalten hatte, und sie hatte Josie gesagt, sie solle sich keine Sorge um die Hütte machen und müsse nicht darauf aufpassen.
Denn Anahera würde niemals wiederkommen.
Sie wandte sich von der Klippe ab, stieg in ihren Jeep und startete den Motor.
Sie fuhr Richtung Inland, fort von den krachenden Wellen – es war nur noch ein Traumbild,