Kapitel 1
Über den Bordlautsprecher war die Stimme der Stewardess zu vernehmen. Sie gab bekannt, dass die Boeing 747 in wenigen Minuten in Bangkok landete. Die Passagiere wurden gebeten, sich anzuschnallen.
Tanya Morris gähnte. Mehr als elf Stunden hatte dieser Flug gedauert, und sie fühlte sich wie gerädert. Sie warf einen Blick aus dem Fenster und sah gerade die aufgehende Sonne, die von einer solchen Intensität war, wie sie es nie zuvor gesehen hatte. Der Sonnenaufgang in Thailand war ganz anders als in New York. Hier erschien die Sonne von einer Sekunde zur anderen und verbreitete gleißende Helligkeit.
Tanya warf einen kurzen Blick auf ihre Armbanduhr. Es war noch früh am Morgen. Hoffentlich stand Onkel Jason trotzdem schon am Flughafen, um sie abzuholen, denn Tanya war zu müde, womöglich länger auf ihn zu warten. Alles, was sie jetzt noch wollte, war ein großes weiches Bett und ein paar Stunden Schlaf.
Die Maschine flog allmählich tiefer und durchstieß die dichte Wolkendecke. Für einen Augenblick war die Sicht verhüllt, doch dann breitete sich direkt unter den Tragflächen eine Welt aus, von der Tanya zwar schon sehr viel gehört, die sie aber noch nie selbst gesehen hatte – Thailand!
Die Millionenstadt Bangkok lag unter ihr. Je tiefer die Maschine ging, umso mehr Einzelheiten konnte Tanya erkennen. Immer wieder brachen sich die Sonnenstrahlen auf golden glitzernden Dächern der unzähligen Tempel. Bangkok war die Stadt der tausend Tempel, und jeder war eine Kostbarkeit für sich.
Wenige Augenblicke später setzte die Boeing 747 mit einem sanften Ruck auf und kam zum Ausrollen. Sie wurde immer langsamer, bis sie schließlich stehen blieb. Gemeinsam mit den anderen Passagieren verließ Tanya die Maschine und betrat die Gangway.
Das Erste, was sie von Thailand mitbekam, war drückende Hitze. Sofort bildeten sich feine Schweißperlen auf Tanyas Stirn. Es herrschten mindestens 30 Grad, wenn nicht noch mehr. Und Onkel Jason hatte ihr geschrieben, dass das Frühlingswetter geradezu ideal für einen Urlaub sei.
Wie hoch mochten dann erst im Sommer die Temperaturen klettern?
Busse standen schon bereit, um die angekommenen Passagiere zum Büro der Einwanderungsbehörde und zur Gepäckabfertigung zu bringen. Die ersten Thais, die Tanya sah, hatten freundliche, offene Gesichter. Ein gutes Zeichen, fand sie und fühlte sich sofort wohl hier.
Die Formalitäten waren schnell erledigt. Tanya ging dann noch zur Gepäckabfertigung, um ihren Koffer abzuholen, und eilte anschließend zur großen Ankunftshalle.
Onkel Jason würde sie bestimmt ungeduldig erwarten. Jason Morris, ein Bruder ihres Vaters, war ein bekannter Geschäftsmann in Bangkok und hatte sie zu einem Urlaub eingeladen.
Den konnte Tanya auch sehr gut gebrauchen, nach allen negativen Erfahrungen der letzten vier Wochen. Sie arbeitete als Designerin für eine renommierte New Yorker Porzellan-Manufaktur. Es war ein anstrengender Job, obwohl er natürlich interessant und abwechslungsreich war. Trotzdem war sie entlassen worden, weil der Juniorchef sich von einem Unternehmensberater mit Zahlen und Fakten dazu hatte überreden lassen, einige kostenintensive Mitarbeiter zu entlassen. Und dazu gehörte auch Tanya.
Tanya griff sich ihren Koffer und lief zur Ankunftshalle. Als sich die automatischen Türen vor ihr öffneten, erblickte sie Dutzende von Thais, die ebenfalls auf ihre Angehörigen warteten. Und dann erkannte sie Jason Morris!
»Onkel Jason!«, rief sie hocherfreut, als sie ihren Onkel winken sah. Im nächsten Augenblick schlang sie auch schon die Arme um seinen Hals und küsste ihn stürmisch.
Der weißhaarige Jason Morris lächelte ein bisschen verwirrt, drückte seine Nichte dann aber ebenfalls an sich.
»Willkommen in Bangkok, Tanya!«, begrüßte er die blonde junge Frau in dem hellen Kleid, das ihr so gut stand. »Wir haben uns ja eine halbe Ewigkeit nicht mehr gesehen. Als ich das letzte Mal in New York war, da warst du noch ein junger Hüpfer. Gerade so groß!« Er zeigte mit der Hand eine Höhe, die gerade bis an seinen Bauch reichte. »Und was für ein