1. KAPITEL
Bevor Trevor Jarrod das prächtige Herrenhaus des FerienresortsJarrod Ridge betrat, stampfte er ein paar Mal kräftig auf, um den Schnee von den schweren Skistiefeln abzuschütteln. Er ging durch den Seiteneingang, den langen Flur entlang, vorbei an den Büros seiner Brüder. Einige Türen standen offen, andere waren geschlossen, Stimmen und Tastengeklapper waren zu hören, Telefone klingelten – ein typischer Arbeitstag.
Auf schmalen hohen Tischchen gegenüber den Büros standen normalerweise tiefblaue Vasen, die im Sommer verschwenderisch mit frischen Blumen gefüllt wurden. Jetzt waren sie durch große Töpfe mit leuchtend roten Weihnachtssternen ersetzt worden.
Naturstein und Holz herrschten als Baumaterialien in dem wuchtigen alten Haus vor, das vor mehr als hundert Jahren gebaut worden war. Nach und nach war das Anwesen erweitert und immer mehr Land dazugekauft worden, sodass das ResortJarrod Ridge mit seinen vielen Lodges, Läden, Wellness-Center und Tagungsräumen wie eine kleine Stadt wirkte. Aber die Büros der Jarrods waren immer noch im Hauptgebäude, und die meisten Familienmitglieder wohnten im obersten Stockwerk des Herrenhauses. So standen sie gezwungenermaßen in engem Kontakt.
Trevor stieß die Tür zu seinem Vorzimmer auf, nickte seiner Assistentin Diana kurz zu und verstaute seine Ski in dem Wandschrank hinter ihrem Schreibtisch.
„Wie war das Skilaufen heute Morgen?“ Mit leicht zur Seite geneigtem Kopf sah Diana ihn an, sodass ihr das dunkle glänzende Haar über eine Schulter fiel.
„Nicht besonders“, erwiderte er missmutig, während er sich den dunkelblauen Skianzug abstreifte und die schweren Stiefel gegen ein Paar Timberland tauschte. Unter der Skikleidung trug er Jeans und einen hellen Kaschmirpullover, nicht gerade die übliche Bürokleidung. Doch es war genauso unüblich, gleich nach ein paar Abfahrten direkt ins Büro zu gehen. Trevor war allerdings der Meinung, dass es nicht schaden konnte, den Gästen zu zeigen, dass auch die Besitzer des Resorts Freude am Skilaufen hatten. Skilaufen im Winter und Wandern und Reiten im Sommer.
Trevor seufzte. „Ich glaube, ich werde alt.“
„Ach was, Sie sind nur ein bisschen aus der Übung, weil Sie nicht mehr so viel Zeit haben wie früher.“
Wie recht sie hatte. Seit dem Tod seines Vaters hatte Trevor quasi zwei Ganztagsjobs. Denn Donald Jarrod hatte seine sechs Kinder testamentarisch gezwungen, insJarrod Ridge zurückzukehren, wo sie aufgewachsen waren. Wer sich sträubte, verlor seinen Rechtsanspruch an dem nicht gerade kleinen Erbteil. Da Trevor bereits eine sehr erfolgreiche Marketingfirma in Aspen besaß, hatte er hier sofort die Leitung der Marketingabteilung übernommen, was ihm im Grunde sehr gelegen kam.
Leider blieb ihm allerdings nicht viel Zeit für das, was er am liebsten tat: im Sommer Wandern, Klettern, Reiten und Kajak fahren. Und im Winter wäre er am liebsten den ganzen Tag auf Skiern oder dem Snowboard unterwegs gewesen. Er war gern in der Natur. Besonders aber liebte er das Abenteuer. Für ihn gab es nichts Schöneres, als einen Berg hinunterzurasen, den kalten Wind im Gesicht, und dabei geschickt jedem Hindernis auszuweichen. Oder aus viertausend Metern Höhe mit dem Fallschirm abzuspringen und gerade noch rechtzeitig die Reißleine zu ziehen. Doch seine Zeit war knapp bemessen. Er musste unbedingt versuchen, die Arbeit so zu organisieren, dass er häufiger draußen sein konnte. Noch besser wäre es, jemanden zu finden, der seinen Job hier imJarrod Ridge übernahm. Aber das würde nicht einfach sein. Er stellte hohe Ansprüche.
„Hat jemand angerufen?“ Fragend sah er Diana an, während er sich das fast schwarze Haar zurückstrich.
„Ja.“ Sie stand auf und hielt ihm einen Stapel Telefonnotizen hin. „Aber bevor Sie in Ihr Büro gehen, sollten Sie wissen …“ Sie biss sich nervös auf die Unterlippe.
„Ja? Was denn?“
„Da ist … also, in Ihrem Büro wartet eine junge Frau auf Sie. Sie hat angerufen und darauf bestanden, mit Ihnen persönlich zu sprechen. Ich wollte sie schon abwimmeln, aber dann hatte ich irgendwie doch nicht das Herz … Ich glaube, Sie sollten sie anhören.“
Erstaunt schüttelte Trevor den Kopf. Diana war zwar eine kleine, zierliche Person, ab