2. KAPITEL
Was fällt Euch ein, Monsieur, in diesem Ton mit mir zu sprechen!“ Entrüstet versuchte Emmeline, auf die Füße zu kommen, wobei ihr erneut ein paar widerspenstige blonde Locken ins Gesicht fielen. Und dann wäre sie vor Schreck beinahe wieder umgefallen beim Anblick des Fremden, der sich wie ein bedrohlicher Bär über ihr auftürmte. Seine untere Gesichtshälfte war von Bartstoppeln verdunkelt, eine Locke seines kurz geschnittenen schwarzen Haares hing ihm in die Stirn, der Wind blähte seinen Umhang, verdeckte die Sonne und warf einen unheilvollen Schatten über sie.
Ein seltsamer Schauer durchrieselte sie. War es Angst oder eine andere Empfindung, die sie nicht zu deuten wusste? Dieser unverschämte Fremdling hatte kein Recht, sie einzuschüchtern, mochte er von ihr denken, was er wollte. Er ist nur ein Mann, beschwor sie sich. Nach allem, was Giffard ihr angetan hatte, wusste sie nun wenigstens, mit Männern umzugehen. Nur Mut! Ihr Blick wanderte argwöhnisch von schweren Lederstiefeln, die er an seinen kraftvollen Beinen trug, nach oben zum braunen Lederwams, das seinen breiten Brustkorb umspannte. Der flatternde dunkelblaue Umhang wies ihn als Edelmann aus. Nur Adelige trugen dieses kostbare Indigoblau, ein Blau, das zur Farbe seiner Augen passte, deren Strahlkraft ihren Herzschlag ins Stolpern brachte.
„Wie, wenn ich bitten darf, soll ich eine Dirne sonst ansprechen?“ Sein hochmütiger Tonfall machte sie nur noch wütender.
Mit fahrigen Händen begann Emmeline ihre Haarfülle wieder unter der Kapuze zu bändigen. Ihr Kopf schmerzte unter der Berührung ihrer Finger. „Ich bin keine Dirne, Monsieur. Nur ein Dummkopf würde mich mit einer Hure verwechseln.“
Der Fremde lachte tief und kehlig. „Dann bin ich wohl ein Dummkopf. Soweit ich weiß, wagt sich nur eine Dirne oder eine ausgesprochen törichte Frau mit offenem Haar in eine Hafengegend, ohne auf ein frivoles Abenteuer aus zu sein. Zu welcher Sorte zählt Ihr?“
„Das geht Euch nichts an!“
„Es geht mich sehr wohl etwas an, seit ich Euch vor dem herabstürzenden Weinfass gerettet habe. Ihr könnt Euch glücklich schätzen, denn vermutlich hätte kein anderer einer wie Euch das Leben gerettet.“
Gütiger Himmel, er hält mich tatsächlich für eine Hure, dachte sie erschrocken. „Und wieso habt Ihr es getan?“, fragte sie spitz.
Er zog die breiten Schultern hoch. „Keine Ahnung. Aber wer will schon zusehen, wenn ein Leben unnötig vergeudet wird. Das Fass hätte Euch zerquetscht.“ Er blickte anmaßend über seine kühn geschwungene Nase auf sie herab. „Im Übrigen hätte jede andere sich mittlerweile bei mir bedankt.“
„Danke schön“, säuselte sie spöttisch. Die Kälte drang ihr bis in die Knochen. Sie raffte Umhang und Röcke um sich und überlegte, wie sie möglichst würdevoll auf die Beine kommen könnte, ohne dass dieser hochfahrende Fremdling ihre Behinderung bemerkte. Wenn sie sich nur an etwas hochziehen könnte! Je schneller sie diesen grässlichen Kerl loswurde, umso besser.
„Ich helfe Euch“, bot er ihr an. Sie starrte auf seinen vornehmen Lederhandschuh, als er sich zu ihr herunterbeugte und sie wie ein Häufchen Elend in ihren abgetragenen Schuhen und heruntergerutschten Beinlingen vor ihm kauerte. „Ich schaffe es alleine“, murmelte sie zähneknirschend.
„Wie Ihr wünscht.“ Er zog die Hand zurück und richtete sich auf.
Mittlerweile lungerten ein paar Hafenarbeiter in der Nähe herum, einige mit besorgter Miene, andere registrierten ihre Demütigung mit einem leichten Grinsen. Zornig schob sie die Röcke nach unten und bedeckte ihre Füße, als ein Kaufmann sich einen Weg durch die Gaffenden bahnte.
„Madame de Lonnieres, Ihr seid es! Ich bitte tausendmal um Entschuldigung“, versicherte der untersetzte Mann in heller Aufregung und wedelte mit feisten Händen vor seinem aufgeregt geröteten Gesicht herum. „Erst vorhin habe ich die Seile noch überprüfen lassen, das müsst Ihr mir glauben.“
„Offenbar nicht sorgfältig genug“, bemerkte der Fremde trocken. „Die Frau wäre beinahe von d