1. Kapitel
Jascha
Ich lasse den Rucksack von meinen Schultern rutschen und stelle den Gitarrenbag neben mich. Es sind zu viele Menschen um mich herum. Beängstigend, besser, ich warte einen Moment. Hamburg. Das letzte Mal, dass ich hier am Flughafen gewartet habe, ist vor sechs Jahren gewesen. Danach hat meine Mum mich noch ein paar Mal in England besucht.
Wir sind uns fremd geworden, und am Ende wussten wir uns überhaupt nichts mehr zu erzählen. Es ist schrecklich und traurig, aber ich habe keine Ahnung, wie es dazu gekommen ist. Und jetzt bin ich wieder hier. Seltsames Magengrummeln zieht meine Eingeweide zusammen. Die Nervenbahnen in meinen Beinen vibrieren, ein Gefühl, als würden meine Knie zittern.
Aber meine Knie zittern nicht. Warum auch? Wahrscheinlich bin ich einfach nur erschöpft.
Evelyn, also meine Mum, will mich unbedingt abholen. Gut, soll sie. Ich habe nicht darum gebeten, hätte auch mit dem Zug fahren können. Ich will überhaupt nicht, dass sie so einen Aufstand machen. Es ist Quatsch, und es ändert auch nichts.
In diesem Moment frage ich mich, warum ich diese Idee gut fand, nach Deutschland zu fliehen. Ich kann nicht vor mir selbst davonlaufen, nicht vor meinen Gefühlen, nicht vor dem, was passiert ist.
Auf einmal fühle ich mich schrecklich allein. Wie soll ich diese sechs Wochen bloß überstehen? Und wie soll ich die Zeit danach überstehen, wenn die Schule wieder anfängt? Wie soll es bloß weitergehen? Vielleicht wäre es besser, wenn ich einfach verschwinde. Mich in Luft auflöse … Wenn ich jetzt abhaue, würde Mum mich nicht finden. Wo könnte ich hin? Zurück nach England? Dann nur nach London, wo ich untertauchen kann. Oder nach Berlin?
Meine Knie werden weich wie Pudding, ich habe nicht das Gefühl, dass sie mich länger tragen können. Verdammt noch mal! ICH. MUSS. MICH. JETZT. ZUSAMMENREISSEN. Sechs Wochen Zeit, einen Plan zu schmieden. Das muss reichen.
„Jascha?“
Ich zucke regelrecht zusammen, als ich meinen Namen höre.
Als ich mich zur Seite drehe, sehe ich meine Mutter – es passiert irgendetwas in meiner Brust. Ein kurzer Schmerz und dann nichts mehr.
„Hallo Mum.“
Es folgt eine unbeholfene Umarmung.
„Wie war deine Reise?“
„Alles okay.“
Ich greife nach meinem Gitarrenbag und schnalle ihn auf meinen Rücken. Dann schnappe ich mir rasch mein übriges Gepäck, ehe meine Mutter auf den Gedanken kommt, mir beim Tragen zu helfen.
Wir verstauen die Sachen im Kofferraum eines silbergrauen Mercedes, älteres Modell.
Es regnet ununterbrochen,