1. KAPITEL
„Sie haben mich angepiept, ich soll zu einem Patienten?“
„Nein, habe ich nicht.“ Candy, einen Haufen Bettwäsche im Arm, lächelte, obwohl mit offenem Mund zu starren naheliegender gewesen wäre. Er sah atemberaubend aus – groß, schlank, in Anzug und Krawatte. Sein dunkelbraunes Haar war kurz geschnitten, und seine Stimme so tief und eindringlich, dass Candy wie angewurzelt stehen blieb. Sie sah ihm direkt in die schokoladenbraunen Augen und brauchte einen Moment, um normal zu antworten. „Zu wem sollen Sie?“
„Zu einem Thomas Heath.“
Candy ging hinüber zum Brett. In der Notaufnahme im London Royal Hospital war an diesem Nachmittag nicht viel los, aber da sie im Schockbereich eingesetzt war, wusste sie nicht, welche Patienten in den Kabinen lagen. „Er ist in der Sieben. Trevor ist sein Pfleger, wahrscheinlich hat er Sie angepiept.“
„Dankeschön. Ich bin übrigens Steele.“
„Steele?“
Er sah, wie der Blick aus ihren tiefblauen Augen zu seinem Namensschild wanderte. „Also, Dr. Guy Steele, wenn Sie es lieber förmlich haben“, sagte er.
„Steele reicht.“ Ich muss aussehen wie aus der Zahnpastawerbung, dachte Candy, denn sie konnte einfach nicht aufhören, ihn anzulächeln. Sie schätzte ihn auf Mitte dreißig, deutlich älter als sie mit ihren vierundzwanzig und auch als alle anderen, in die sie sich bisher verguckt hatte. Doch er hatte diese Wirkung auf sie, diese Präsenz, die Candys Herz schneller schlagen ließ.
„Und wer sind Sie?“, fragte er.
„Candy. Candy Anastasi.“ Sie sah seine Mundwinkel zucken. „Ich weiß, ich weiß, mit so einem Namen müsste ich eigentlich groß, langbeinig und blond sein!“ Stattdessen war sie klein und ein bisschen rundlich, hatte lange schwarze Locken und blaue Augen. „Dazu gibt es eine Geschichte.“
„Ich kann es nicht erwarten, sie zu hören, Schwester Candy.“
Was für eine tiefe Stimme. Er klang wie ein Schuldirektor, ernst und streng, doch das wurde abgemildert von seinem wunderschönen Mund, von dem sie ihren Blick kaum losreißen konnte. „Sie werden nie erfahren, wie ich zu meinem Namen gekommen bin“, sagte Candy.
„Na, das werden wir noch sehen.“
Haben wir gerade geflirtet? fragte sich Candy, als dieser unglaublich attraktive Mann davonging.
„Wer ist das denn?“, fragte Kelly, als sie anfingen, eines der Betten abzuziehen.
„Steele!“, sagte sie mit betont tiefer Stimme, sodass Kelly lachen musste. Sie sprach weiter in schroffem Ton, während sie sich über das Bett beugten und das Bettlaken feststeckten. „Oder Dr. Guy Steele, wenn wir es förmlich halten wollen, und, junge Dame, ich werde Ihr Trommelfell dröhnen lassen mit meiner tiefen …“
„Schwester Candy?“
Candy erstarrte. Steele stand hinter ihr.
„Kann ich mir Ihr Stethoskop ausleihen?“, fragte er.
Sie lachte, nahm ihr Stethoskop vom Hals und hielt es ihm hin, zog es aber wieder zurück, als er danach griff. „Können Sie“, sagte sie. „Wenn Sie aufhören, mich Schwester Candy zu nennen.“
Er nahm nur das Stethoskop, lächelte und ging.
Sie bezogen alle Betten und prüften die Notfallwagen. Dann hörten sie auf, beschäftigt zu tun, da ihre Chefin Lydia ohnehin im Büro war. Stattdessen brachten sie eine Kanne Eistee ins Stationszimmer, wo Steele am Computer saß und geschäftig tippte.
„Wie komme ich denn an meine Pathologie-Ergebnisse ran?“, fragte er, ohne sich umzudrehen.
„Haben Sie Ihr Passwort?“, fragte Candy.
„Ja, und ich bin bis …“ Er drückte noch einmal die Eingabetaste. „Jetzt hab ich’s.“
„Hast du deinen Eltern schon das mit Hawaii erzählt?“, fragte Kelly und setzte damit das Gespräch fort, das sie in der Küche bei der Zubereitung des Tees mit Candy geführt hatte.
„Nein.“
„Du fährst in vier Wochen“, gab Kelly zu bedenken.
„Vielleicht merken sie gar nicht, dass ich weg bin“, entgegnete Candy hoffnungsvoll. Sie seufzte. Ihre Eltern waren Sizilianer, streng und durchaus geneigt, unangekündigt bei ihr vor der Tür zu stehen. Außerdem telefonierten sie jeden Tag. „Ich weiß, ich muss es ihnen sagen, sonst setzen sie mich gleich auf die Vermisstenliste von Interpol.“
Candy hatte aus einer Laune heraus einen Urlaub in Hawaii gebucht. Als die Werbung auf ihrem Fernseher lief, mit einem Sonderangebot für die ersten zehn Anruf