Kapitel 5
Nachmittag lag über Liyiell. Der Himmel weitestgehend blau, nur hier und da zeichneten sich kleine Wolken ab.
Barshim saß auf dem Stuhl im Arbeitszimmer des Circanprefect. Die Füße auf dem Schreibtisch, schwenkte er ein Glas mit goldenem Gräserwein in seiner Hand.
Er liebte den Geschmack. So weich und sanft. Es war schon belustigend, dass er einfach das große Schulgebäude betreten konnte, wie ein Besucher. Er bewegte sich so selbstsicher, dass keiner auf die Idee kam, er würde hier nicht täglich ein- und ausgehen. Bei den vielen Personen war es schier unmöglich, jeden Einzelnen zu kennen.
Die Einzigen, die sich an ihn noch erinnern konnten, waren gerade auf Natriell. Also keine Gefahr für den Krieger. War es wirklich fast 600 Jahre her, dass sie aus dieser Welt verbannt worden waren? Manchmal kam es Barshim wirklich so lange vor, doch dann gab es Momente wie diese, wo einen das Gefühl beschlich, es war erst gestern gewesen. Sein Blick wanderte zum Kamin und den Halterungen darüber. Zu seinem Bedauern lag dort kein weißer Stab. Der Kreisführer war wohl vorsichtiger geworden. Schade, aber das wäre auch zu einfach gewesen.
Er erhob sich, leerte das Glas und stellte es auf dem Schreibtisch ab. Sein Blick schweifte über die Unterlagen, die dort ruhten. Alles ordentlich zusammengelegt, spiegelten sie nicht wider, wie es aussah, wenn Savinama hier arbeitete. Egal wann Barshim sich damals mit dem Magier getroffen hatte, es herrschte immer mittelprächtiges Chaos auf der Arbeitsplatte. Eine Mischung aus Büchern, Pergamentrollen, Karten und Skizzen. Bedauern überkam ihn, dass Savinama nichts von seinem Besuch im letzten Winter wusste. Es juckte ihn, das überraschte Gesicht zu sehen und gleichzeitig machte es auch Spaß, im Hintergrund spielen zu können.
Spielen!
Genau das war der Grund, der ihn heute hierher bewegt hatte. Es wurde Zeit, die Fäden selber in die Hand zu nehmen und was er vorhatte, ging nur, solange der Circanprefect keine Ahnung von seiner Anwesenheit besaß.
Barshim wandte sich Richtung Fenster und betrachtete die Regale voller Bücher, die vor ihm standen. Sein Finger strich über die Ledereinbände, bewegte einige Pergamentrollen, ohne sie genauer in Augenschein zu nehmen. Sein Blick fiel auf das rechte Regal zwischen Kamin und Balkontür. Halb bedeckt von einem schweren, roten Vorhang. Zielstrebig ging er dorthin und zog diesen zur Seite. Er stöberte oben und tastete sich nach unten weiter, als seine Aufmerksamkeit von einem unordentlichen Haufen im untersten Fach angezogen wurde. Mehrere Bücher lagen kreuz und quer, darauf ruhten Pergamentrollen, die normalerweise akkurat auf ihren Plätzen weilten.
„Treffer, würde ich sagen.“ Barshim bückte sich und nahm den ganzen Stapel heraus, um ihn auf dem aufgeräumten Schreibtisch auszubreiten. Seine Hände gingen liebevoll mit dem Pergament um, als er eine der Rollen auseinanderzog. Eine Karte von Liyiell.
Barshim betrachtete sie genauer. Sie musste sehr alt sein, denn die Namen, die er las, gab es zum Teil nicht mehr, andere waren verzeichnet in der Ursprache der Alten Welt.
In der rechten, unteren Ecke befand sich ein Siegel aus Wachs, das der Magier noch nie gesehen hatte. Konnte das ein Falke sein? Barshim legte die Karte zur Seite und öffnete einen dicken Wälzer.
Ihm fiel auf, dass zwischen vielen Blättern einzelne lose nachgelegt worden waren. Ein Teil mit Skizzen, ein Teil mit persönlichen Anmerkungen. Sein Finger strich die handgeschriebenen Wörter auf einem der Zettel entlang. Nichts Relevantes. Dazwischen die Skizze eines Medaillons, das er nur allzu gut kannte. Ein wenig wurde er doch enttäuscht. Barshim wollte herausfinden, wie weit der Magier in seiner endlosen Suche nach der Vergangenheit gekommen war und dessen private Gedanken dazu. Einen Blick in sein Inneres wäre sehr interessant. Zu seiner Überraschung fand er fast nichts über die Legenden der Vigils, die er eigentlich erwartete. An wie viel konnte sich der Magier also wirklich erinnern? Es gab ein paar Aufzeichnungen über die Geschichte Liyiells. Einige schon brüchig und kaum zu lesen, andere sehr sorgfältig und ordentlich aufgeschrieben. Er rollte ein weiteres Pergament auseinander. Die Bauskizze eines Schiffs. Ebenfalls mit jenem alten Siegel versehen, auf das er eben schon gestoßen war, über einer Unterschrift.
Barshim setzte sich wieder hin. Er öffnete ein weiteres Buch und fand darin nur Zahlen. Egal welche Seite er aufschlug, es änderte sich nichts. In der Mitte des Buches änderte sich die Schriftform und am Ende tauchte auf vielen Seiten eine dick unterstrichene Minuszahl auf, bis sie irgendwann wieder ins Plus überging. Warum sammelte man solch unnützes Zeug? Er brauchte Fakten. Der Magier wollte gerade das Buch gelangweilt zuschlagen, als er ein Geräusch hörte. Schritte auf dem Flur. Hastig schob er alles zusammen und blickte sich um. Die Tür zum