MUEZZIN UND SACHERTORTE
Sind Sie bereit für eine wilde Mischung aus Orient und Okzident? Aus Muezzin und Wiener Schmäh? Falafel und Apfelstrudel? Dann kann’s losgehen. In diesem Kapitel nehme ich Sie nämlich mit auf einen ganz besonderen Ausflug.
Ich werde Sie zu einem meiner absoluten Lieblingsorte in Jerusalem führen. Und ich verspreche Ihnen: Ihr Herz wird höher schlagen bei dem, was Sie heute sehen und erleben werden. Hier ist der Deal: Falls es Ihnen – entgegen aller Erwartung – nicht gefallen sollte, gebe ich Ihnen die fünf Schekel zurück, die Sie für diese Entdeckung zahlen müssen. Mein Tipp: Machen Sie diesen Ausflug eher zu Beginn Ihres Aufenthalts in Jerusalem. So können Sie sich einen Überblick verschaffen über das, was Ihnen die Heilige Stadt zu bieten hat. Womit Jerusalem Sie locken, begeistern – und wohl auch stellenweise überfordern wird.
© Stefan Gödde
Eines der acht großen Tore der Altstadtmauer: das prächtige Damaskustor
AM DAMASKUSTOR
Wir treffen uns direkt vor dem beeindruckenden Damaskustor (Damascus Gate). Es wurde 1535–1538 unter Sultan Süleyman dem Prächtigen gebaut. Das größte Tor in der Altstadtmauer ist gleichzeitig der Haupteingang zum Muslimischen Viertel. Und wenn es in Jerusalem kracht – zwischen israelischen Sicherheitskräften und Palästinensern –, dann ziemlich sicher auch hier. Deshalb stehen auf dem Vorplatz zwei Wachhäuschen mit bewaffneten Soldatinnen und Soldaten. Aber heute ist alles ruhig, und wir treffen uns am besten am späten Nachmittag, wenn die Sonne schon tiefer steht und nicht mehr ganz so gnadenlos auf die Erde feuert.
Wir betreten die Altstadt. Durch den Torbogen hindurch, dann direkt nach links – und sofort wieder scharf nach rechts. Diese versetzte Form des Eingangs sollte es Angreifern schwerer machen, einfach so schnurstracks in die Stadt einzufallen mit Gebrüll.
Heute will man am Tor niemanden mehr abhalten, im Gegenteil. Man heißt die Menschen willkommen, damit sie auf dem Markt ihr Geld lassen. Und gebrüllt wird nicht mehr vor, sondern hinter dem Tor.
© Stefan Gödde
In den Gassen hinter dem Damaskustor wird lautstark gefeilscht und gehandelt
LEBHAFTES MARKTTREIBEN
Áschara! Áschara! Arabisch für Zehn. Áschara! So schreien die Händler. Zehn Schekel für Zigaretten, Plastikspielzeug oder Schokolade. Am Boden kauern alte muslimische Frauen, die saftig-grüne Weinblätter, Salat und selbst gepflückte Kräuter verkaufen.
Einen bunteren Warenmix als auf diesem Markt kann man sich kaum vorstellen: Berge von plastikverpackten Süßigkeiten und Polyesterpullis, knallrote Reisekoffer, gerupfte Hühnchen, Bananen, Orangen und natürlich die typisch lang gezogenen Jerusalem-Bagels. Áschara! Dieser Markt ist eine große Bühne.
Eigentlich könnten wir den ganzen Tag hier stehen bleiben und mit all unseren Sinnen die verschiedenen Eindrücke aufnehmen: Den Duft der frisch gebackenen Pitabrote einatmen. Zuhören, wie die Händler schreiend um Kundschaft buhlen, und uns darüber wundern, dass das »Áschara« manchmal sogar aus scheppernden Lautsprechern kommt, als Aufzeichnung in Dauerschleife. Manchen Händlern ist das stundenlange Schreien wohl doch zu anstrengend.
KALEIDOSKOP DER RELIGIONEN, NATIONEN, TRADITIONEN
Oder wir schauen einfach nur zu, wie arabische Jungs mit ihren klapprigen Lebensmittelkarren die Steinrampen herunterrumpeln. Wie sich schwedische Touristinnen fotografierend an ihnen vorbeidrängeln, immer darauf bedacht, nicht auf die alten Frauen am Boden zu treten oder auf deren knackig-grünen Salat. Daneben: schwer bewaffnete junge Soldatinnen und Soldaten. Und nicht zu vergessen die ultraorthodoxen Juden in ihren schwarzen Anzügen