Kapitel Eins
Emily
Du könntest immer noch deine Dame opfern und sie für den König sterben lassen. Wäre es … wäre siedir das wert, um zu gewinnen?
Diese Worte – eine Todesdrohung gegen mich, die Derek erst vor wenigen Minuten ausgesprochen hat – scheint der Colorado-Wind flüsternd mit sich zu tragen, wie um Shane und mich zu verhöhnen, während wir Stirn an Stirn unter dem Baum im Garten seiner Eltern stehen. Es ist, als würde er unser Bedürfnis verspotten, diese Worte als harmlos abzutun, und mein Bedürfnis, Shanes Versprechen zu glauben, dass alles okay ist. Er meint es ernst, das weiß ich, und ich wollte auch, dass er mir genau das sagt, aber jetzt, da der Nebel in meinem Kopf sich langsam lichtet, erinnere ich mich an das, was ich nur allzu eindrücklich durch meine Familie gelernt habe – allen voran durch meinen Bruder. Versprechen, selbst die ehrlich gemeinten, sind wie Wasser in einem gesprungenen Glas. Eine falsche Bewegung, ein zu fester Druck, und es zerbricht, und in diesem Fall sind die Folgen höchstwahrscheinlich blutig.
Ich schließe die Augen, und eine oder zwei Sekunden lang – vielleicht sogar drei – erlaube ich mir, noch einmal in Shanes Worten zu schwelgen:
Es ist alles okay …
Du bist in Sicherheit …
Doch noch während ich meinem Bedürfnis fröne, den Worten Glauben zu schenken, springen meinen Gedanken zurück zu dem Moment eben im Haus, als Derek von seiner Schachpartie mit Shane aufgeblickt und mich angesehen hat; dem Moment, als er meinen Blick aufgefangen und gehalten hat – um dann diese Drohung auszusprechen. In diesem Moment habe ich die bösartige Absicht und die Heimtücke in seinen Augen gesehen.
Es ist nicht alles okay.
Der kühle Abendwind, der von den Rocky Mountains herunterweht, lässt mich erzittern, und Shane legt seine kräftigen Hände um meine Oberarme. Die Hitze seiner Berührung dringt durch meine marineblaue Seidenbluse. »Du brauchst deine Stola«, sagt er, während er über meine Arme reibt. »Und ich hab nicht mal ein Jackett an, das ich dir wie ein Gentleman umlegen könnte.«
»Ich hab meine Stola deshalb nicht dabei, weil ich einfach blind hier rausgerannt bin. Was eigentlich niemand hätte mitbekommen sollen«, entgegne ich, während der für Denver so typische Abendwind mir das Haar ins Gesicht wirft. Als ich es wegwische, wird mir wieder einmal bewusst, dass es jetzt braun ist, aber eigentlich blond sein sollte; der brünette Farbton ist genauso falsch wie mein Name und meine Identität. Was mich auf eine weitere Realität hinweist: Ich führe jetzt ein neues Leben an Shanes Seite, und ich will keine Bürde für ihn sein, sondern eine Bereicherung. »Und du musst kein Gentleman sein oder mir Versprechungen machen, die ich nie von dir hätte verlangen dürfen«, füge ich hinzu. »Wir sollten wieder reingehen. Je länger wir hier draußen bleiben, desto mehr sehe ich aus wie ein verschrecktes Äffchen.«
Shane hebt eine Augenbraue. »Ein verschrecktes Äffchen?« Er stößt ein Lachen aus, dieses für ihn so typische tiefe, sexy Grollen, das beweist, dass er nicht so steif ist wie sein weißes Hemd. Gleichzeitig zeigt er mir dadurch jedoch auch, dass er meine Sorgen nicht ernst nimmt.
»Das ist nicht witzig«, gebe ich ihm zu verstehen und nehme seine marineblaue Krawatte in die Hand, die ich für ihn ausgesucht habe – aus einer romantischen Laune heraus wollte ich sicherstellen, dass unser Outfit für das Familienessen zusammenpasst. Was sich mittlerweile gar nicht mehr so romantisch anfühlt.
Erneut legt Shane mir die Hände auf die Arme. »Niemand hält dich für verschreckt. Wenn überhaupt, dann denken die, du bist wütend.«
»Das bin ich auch. Aber nicht auf deinen Vater, auch wenn er mich nur eingeladen hat, um Ärger zu provozieren. Und auch nicht auf deinen Bruder, der dafür gesorgt hat, dass euer Vater mit diesem Vorhaben Erfolg hat. So sind die beiden eben. Das weiß ich, und trotzdem bin ich darauf angesprungen. Und darauf hast du dann reagiert. Ich hab zugelassen, dassdu meinetwegen Schwäche zeigst.« Ein Gefühl der Dringlichkeit steigt in mir auf, und ich packe Shane bei den Handgelenken. »Wir müssen wieder reingehen«, sage ich erneut und will mich von ihm lösen.
Doch er hält mich fest. »Geh nicht mit dem Gedanken da rein, du müsstest irgendwas beweisen. Das musst du nicht.«
»Ich hab reagiert, als hätte ich Angst.«
»Es ist doch nur menschlich – und ganz normal –, dass du Angst