: Ilse Tielsch
: Heimatsuchen
: Edition Atelier
: 9783990650240
: 1
: CHF 19.00
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 440
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Mit viel Mühe hat Wundraschek sein Pferd durch den Krieg gebracht, jetzt, im Mai und Juni 1945, sollen seine Entbehrungen belohnt werden. Mithilfe eines klapprigen Wagens und gegen fürstliche Bezahlung führt er die letzten Deutschen, die sich noch in der kleinen südmährischen Stadt aufhalten, bis zur tschechisch-österreichischen Grenze. Darunter befinden sich auch der Arzt Heinrich und seine Frau Valerie, die ihrer Tochter Anni ins Exil folgen. Es ist ein Aufbruch ins Ungewisse - werden sie Anni wiederfinden, werden sie je zurückkehren können? Für die ganze Familie beginnt ein langer Kampf ums Überleben, eine Odyssee durch fremde Dörfer, Städte und Besatzungszonen. Jahrzehnte später sammelt die nun erwachsene Anna Erinnerungen der einst Vertriebenen und schreibt auf, wie es gewesen ist - auch in Gedenken an die vielen Menschen, die ihnen in dieser Zeit beigestanden sind.

Ilse Tielsch, 1929 in Auspitz/Hustopece in Mähren geboren, lebt als Schriftstellerin in Wien. Studium der Zeitungswissenschaft und Germanistik, 1953 Promotion. Mitglied des Österreichischen P.E.N.-Clubs und des OeSV sowie Gründungsmitglied des Literaturkreises Podium. Veröffentlichung von Romanen und Gedichten, u.a. Das letzte Jahr. Ihre Bücher wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt. Viele Preise und Auszeichnungen, u.a. Anton-Wildgans-Preis, Andreas-Gryphius-Preis, Südmährischer Kulturpreis. Zuletzt erhielt sie den Franz-Theodor-Csokor-Preis für ihr Lebenswerk.

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Neben dem Bahndamm hielt Wundraschek sein Pferd an. Prrr, das hieß: bleib stehen. Alle Pferde Mährens verstanden diesen Zuruf, auch dieser magere Ackergaul, unter dessen schäbigem Fell sich die Rippen deutlich abzeichneten.

Wundraschek wußte natürlich, daß er mit diesem elenden Roß an keiner Schönheitskonkurrenz teilnehmen konnte, aber das lag ja auch nicht in seiner Absicht. Ein Pferd war Gold wert in diesen Zeiten, und dies im wahrsten Sinne des Wortes. Es hatte ihn viel Mühe und Schlauheit gekostet, dieses hier über die letzten Monate des Krieges und dann noch über das Kriegsende mit allen seinen Folgen hinüberzuretten. Jetzt machte sich diese Mühe bezahlt. Für die Fahrt, die er eben, durch Anhalten seines klapprigen Wägelchens, beendet hatte, war er mit einer goldenen Armbanduhr, einem tadellosen Sonntagsanzug und noch mehreren anderen nützlichen und wertvollen Gegenständen belohnt worden, und es war nicht die erste derartige Fahrt gewesen und würde auch die letzte nicht sein. Die Deutschen mußten aus dem Land, das stand fest, das hatte er, Wundraschek, schon lange vor dem Ende dieses Krieges gewußt, alle Tschechen hatten es gewußt, nur die Deutschen hatten es, auch wenn man heimlich darüber geredet hatte, nicht geglaubt. Einige von denen, die zuletzt noch von den abziehenden Soldaten in ihren Militärautos mitgenommen worden waren, oder von jenen, die, noch ehe die Russen gekommen waren, mit Pferd und Wagen oder in überfüllten Zügen die Flucht ergriffen hatten, waren sogar, als sich die Lage einigermaßen beruhigt hatte, zurückgekommen und hatten ihr gesamtes Fluchtgepäck wieder mitgebracht. Er, Wundraschek, hatte nur den Kopf schütteln können über soviel Dummheit oder Naivität, das konnte man nennen, wie man wollte, er jedenfalls hatte es nicht verstanden.

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