: Jeanette Winterson
: Orangen sind nicht die einzige Frucht
: kein& aber
: 9783036994338
: 1
: CHF 11.60
:
: Erzählende Literatur
: German
: 272
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Die temperamentvolle Jeanette wächst als Adoptivkind bei fanatischen Mitgliedern der Pfingstbewegung auf. Für ihre Stiefmutter ist sie eine 'Auserwählte', die mit ihr gegen die sündige Welt kämpft und eine Missionarin für die Kirche werden soll. Doch Jeanette erfährt einen unerwarteten Sinneswandel, als sie sich mit sechzehn in eine junge Frau verliebt. Von ihrer Gemeinde und ihrer Stiefmutter für diese Liebe geächtet und zunehmend unsicher, warum der Glaube über dem Verlangen stehen sollte, verlässt sie schließlich ihr Elternhaus und die Kirche, um selbstbestimmt ihr Glück zu finden.

Jeanette Winterson, 1959 in Manchester geboren und in Lancashire bei evangelikalen Adoptiveltern aufgewachsen, schrieb mit vierundzwanzig Jahren ihren preisgekrönten Debütroman 'Orangen sind nicht die einzige Frucht'. Es folgten zahlreiche weitere Bücher, mit denen sie zu einer der angesehensten Autorinnen Großbritanniens avancierte. Sie ist mit zwei Romanen auf der Liste der '100 Greatest British Novels' vertreten und wurde 2006 von der Queen zum Officer und 2018 zum Commander of the Order of the British Empire ernannt. 2019 wurde ihr Roman 'Frankissstein', der ebenfalls bei Kein& Aber erschienen ist, für den Booker Prize nominiert. Jeanette Winterson schreibt regelmäßig für den Guardian und lebt in Manchester und London.

Wie die meisten Menschen lebte ich lange bei meiner Mutter und meinem Vater. Mein Vater liebte es, sich Ringkämpfe anzusehen, meine Mutter liebte es, sie auszutragen; egal gegen wen. Sie war in der weißen Ecke, und damit hatte es sich. An den windigsten Tagen hängte sie die größten Laken auf die Leine. Siewollte, dass die Mormonen an die Tür klopften. In einer Labour-regierten Industriestadt stellte sie vor den Wahlen ein Bild des konservativen Kandidaten ins Fenster. Sie hatte noch nie etwas von gemischten Gefühlen gehört. Es gab Freunde, und es gab Feinde.

Feinde waren: Der Teufel (in seinen vielen Formen)

Die von nebenan

Sex (in seinen vielen Formen)

Schnecken

Freunde waren: Gott

Unser Hund

Tante Madge

Die Romane von Charlotte Brontë

Schneckenbekämpfungsmittel

und ich, zu Anfang; ich war dazugeholt worden, um ihr in ihrem Kampf gegen den REST DER WELT zur Seite zu stehen. Sie hatte eine mysteriöse Einstellung zur Zeugung von Kindern, was nicht etwa daran lag, dass sie es nicht tun konnte, sondern vielmehr daran, dass sie es nicht tun wollte. Sie war sehr verbittert darüber, dass die Jungfrau Maria ihr zuvorgekommen war. Also tat sie das Nächstbeste und besorgte sich ein Findelkind. Mich.

Ich kann mich an keine Zeit erinnern, in der ich nicht gewusst hätte, dass ich etwas Besonderes war. Wir hatten zwar keine Weisen aus dem Morgenland, weil sie nicht daran glaubte, dass es weise Männer gab, aber wir hatten Schafe. Zu meinen frühesten Erinnerungen gehört die, zu Ostern auf einem Schaf zu sitzen, während sie mir die Geschichte des Opferlamms erzählte. Wir bekamen es jeden Sonntag, mit Kartoffeln.

Der Sonntag war der Tag des Herrn, der betriebsamste Tag der ganzen Woche; wir hatten eine Musiktruhe mit einer imposanten Mahagoniverkleidung und einem fetten Bakelitknopf, an dem man drehen konnte, um die Sender einzustellen. Normalerweise hörten wir das Unterhaltungsprogramm, aber sonntags immer BBC World Service, damit meine Mutter die Fortschritte unserer Missionare verfolgen konnte. Unsere Missionskarte war sehr eindrucksvoll. Auf der Vorderseite waren alle Länder zu sehen, und auf der Rückseite gab es eine Zahlentabelle, die einem alles über die einzelnen »Stämme und ihre Eigentümlichkeiten« verriet. Mein Liebling war die Nummer 16, »Die Buzule der Karpaten«. Sie glaubten, dass du Kopfschmerzen bekamst, wenn eine Maus deine abgeschnittenen Haare fand und sich daraus ein Nest baute. Wenn das Nest groß genug war, konntest du sogar verrückt werden. Soviel ich wusste, war noch nie ein Missionar bei ihnen gewesen.

Sonntags stand meine Mutter immer früh auf und ließ vor zehn Uhr niemanden ins Wohnzimmer. Es war ihr Ort für Gebet und Meditation. Sie betete immer im Stehen, wegen ihrer Knie, so wie Bonaparte seine Befehle immer vom Pferd aus gab, wegen seiner Größe. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Beziehung, die meine Mutter zu Gott hatte, viel mit Stellung und Rang zu tun hatte. Sie war durch und durch Altes Testament. Sie hatte nicht viel übrig für das sanfte Lamm Gottes, sie war draußen auf dem Feld, in vorderster Front mit den Propheten und mit einem ausgeprägten Hang zum Schmollen unter Bäumen, wenn die gebührende Vernichtung sich nicht einstellen wollte. Was aber doch relativ oft geschah, ob durch ihren Willen oder den des Herrn, kann ich nicht sagen.

Sie betete immer auf die gleiche Art und Weise. Zuallererst dankte sie Gott dafür, dass er es ihr vergön