: Tania Lincoln
: Kognitive Verhaltenstherapie der Schizophrenie Ein individuenzentrierter Ansatz
: Hogrefe Verlag GmbH& Co. KG
: 9783840929564
: Therapeutische Praxis
: 3
: CHF 31.80
:
: Psychologie
: German
: 233
: Wasserzeichen/DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: PDF
Die Neubearbeitung des Manuals liefert eine praxisorientierte Darstellung kognitiv-verhaltenstherapeuti cher Interventionen zur ambulanten und stationären Behandlung von schizophrenen Patienten. Anhand zahlreicher Beispiele werden Techniken zur Veränderung von Wahn, Halluzinationen und Negativsymptomatik ausführlich beschrieben. Nach einer kurzen Einleitung zur klinischen Symptomatik, Klassifikation, Epidemiologie und Diagnostik bietet das Manual einen aktuellen Einblick in die Erforschung psychologischer Mechanismen, die an der Entstehung und Aufrechterhaltung von Psychosen beteiligt sind, sowie einen Überblick über neue Evaluationsstudien zur Therapieforschung. Den Schwerpunkt des Buches bildet die Beschreibung psychotherapeutischer Interventionen, die u.a. den Aufbau einer tragfähigen therapeutischen Beziehung, die Entwicklung individueller Erklärungsmodelle für die Symptome und Probleme sowie die Vermittlung von Strategien im Umgang mit störenden Symptomen wie Stimmenhören oder desorganisiertem Verhalten umfassen. Weiterhin werden Strategien zur gezielten Umstrukturierung wahnhafter Überzeugungen und zugrunde liegender dysfunktionaler Kognitionen, Techniken zur Reduktion von Negativsymptomatik und Interventionen zur Vorbereitung auf Rückfälle dargestellt. Zahlreiche Beispiele und konkrete Formulierungsvorschläge veranschaulichen das Vorgehen. Die erforderlichen Arbeitsmaterialien, inklusive Übersetzungen englischsprachiger Fragebögen, können von der beiliegenden CD-ROM direkt ausgedruckt werden.
Kapitel 4 Überblick über Behandlungsansätze

4.1 Klassifikation der Behandlungsansätze

Behandlungsansätze der Schizophrenie lassen sich grob in soziotherapeutische Maßnahmen, medikamentöse Behandlungsansätze und psychologische Interventionen unterteilen, die meist als Einzelbausteine einer integrativen Therapie verstanden werden. Soziotherapeutische Maßnahmen beinhalten unterstützende Rehabilitationsangebote, deren Ziel die Bereitstellung von Hilfen in Bereichen ist, die der Betroffene aus eigenem Vermögen nicht mehr zu bewältigen vermag. Hierzu zählen vor allem die Einrichtung von Wohnheimen und betreutem Wohnen in unterschiedlichen Abstufungen. Ein anderes wichtiges Ziel der Rehabilitation ist die Wiedereingliederung in den Beruf. Dort, wo das nicht möglich ist, soll die Bereitstellung von Arbeits- und Beschäftigungsmöglichkeiten, die die Belastungsgrenze der Betroffenen berücksichtigen, dem Betroffenen helfen, seine Fähigkeiten weiterhin zu erproben. Im Folgenden wird aber nicht weiter auf soziotherapeutische Maßnahmen eingegangen. Stattdessen soll, nach einer Würdigung und kritischen Bewertung medikamentöser Ansätze, der Fokus auf gängige psychotherapeutische Ansätze gelegt werden. Die kognitive Verhaltenstherapie und ihre Evidenz werden in Kapitel 5 gesondert dargestellt.

4.2 Medikamentöse Ansätze

4.2.1 Akutbehandlung

Der grundsätzliche Wirkmechanismus neuroleptischer Medikation wurde in Kapitel 2.2 beschrieben. Medikamente, in Form von Neuroleptika, leisten für viele Patienten einen wertvollen Beitrag zur Genesung, dies gilt v. a. in der akuten Phase, in der sie für einen halbwegs raschen Rückgang quälender psychotischer Symptome sorgen können. Manche Patienten beschreiben diesen Effekt als „dickere Haut“ oder, wenn er ggf. auch bereits zu stark ist, als „wie in Watte gepackt sein“. Ein symptomreduzierender Effekt der Medikamente ist auch durch viele randomisiert-kontrollierte Studien belegt, bei denen Patienten mit akut psychotischer Symptomatik auf eine Bedingung mit einem bestimmten Neuroleptikum oder eine Placebobedingung randomisiert wurden. Die typische Studiendauer lag bei sechs Wochen, manchmal auch bei drei Monaten, nur in ganz wenigen Fällen ging sie darüber hinaus. Sie deckte somit bei Weitem nicht den gesamten Remissionszeitraum von etwa zwei Jahren ab.

Exemplarisch für eine Reihe von Metaanalysen in diesem Bereich, die überwiegend in den 2000er Jahren publiziert wurden, seien zwei methodisch hochwertige Metaanalysen von Leucht und Kollegen dargestellt: In einer Metaanalyse von 17 qualitativ hochwertigen Psychopharmakastudien, die insgesamt 7.245 Probanden unter Einnahme von Neuroleptika der zweiten Generation untersucht hatten, fanden Leucht, Pitschel-Walz, Abraham und Kissling (1999) im Vergleich zu Placebobehandlungen nur einen geringen signifikanten Effekt von r = 0.25 in Bezug auf Symptomverbesserung. Eine weitere Metaanalyse von Leucht et al. (2009) fand für die Positivsymptomatik eine moderate Effektstärke von d = 0.48 für die Verbesserung über alle psychopathologischen Symptombereiche hinweg. Anders formuliert bedeutet dies, dass neuroleptische Medikation nur für etwa 50 % der Patienten effektiv ist. Legt man verschiedene Metaanalysen und eine strengere Definition von Effektivität im Sinne einer klinischen Relevanz zugrunde, muss man sogar davon ausgehen, dass mindestens 7 Patienten mit Neuroleptika behandelt werden müssen, um bei einem Patienten eine klinisch relevante Veränderung zu erzielen. Zudem wirken die typischen und auch die atypischen Neuroleptika vor allem auf die Positivsymptomatik und bislang weder auf die Negativsymptomatik (Aleman et al., 2017) noch auf kognitive Störungen. An dieser Stelle sei zudem angemerkt, dass aufgrund des hohen wirtschaftlichen Interesses zwar viele pharmakologische Studien durchgeführt werden aber zu erwarten ist, dass der ohnehin bestehende Publikationsbias zugunsten positiver Therapieeffekte durch das Eigeninteresse der Auftraggeber zusätzliche Relevanz erhält. In der Praxis wird in der Regel bei einer mangelnden beobachteten Wirksamkeit nach 2 bis 4 Wochen die Umstellung auf ein anderes Präparat empfohlen.

Allerdings zeigt etwa ein Drittel der Patienten mit Schizophrenie auch beim zweiten oder dritten Neuroleptikum keine ausreichende Reduktion der psychotischen Symptomatik. Deshalb wird häufig auch eine Kombination verschiedener Neuroleptika oder eine Kombination von Neuroleptika mit Benzodiazepinen, Stimmungsstabilisatoren, Antidepressiva oder Beta-Blockern empfohlen. Insgesamt ist jedoch die Evidenzlage für den zusätzlichen Nutzen solcher kombinierten Therapien gegenüber einer Monotherapie mit Neuroleptika immer noch fraglich. Sie wird deshalb in den S3-Leitlinien des AWMF (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften)2 nicht empfohlen.

Ein großer Nachteil einer neuroleptischen Medikation besteht zudem darin, dass es häufig zu typischen unerwünschten Begleitwirkungen kommt, die störend, bisweilend auch quälend und sozial beeinträchtigend sind. Dies führt dazu, dass viele Patienten die medikamentöse Therapie ablehnen, abbrechen oder nur unter massiven Druck annehmen. Definiert man regelmäßige Medikamenteneinnahme als eine Einnahme, die in mindestens 75 % der Fälle wie verschrieben erfolgt, dann zeigen Studien, dass etwa 50 % der Patienten die Medikamente nicht regelmäßig einnehmen (Lacro et al., 2002). Nebenwirkungen sind ein wesentlicher Prädiktor für die mangelnde Adhärenz bei der Medikamenteneinnahme aber auch die Überzeugungen der Patienten im Hinblick auf die Ursachen der Störung und die Einstellungen des sozialen Umfelds spielen eine Rolle (Wiesjahn et al., 2014; Moritz, Favrod et al., 2013).
Kognitive Verhaltenstherapie der Schizophrenie1
Inhaltsverzeichnis7
Vorwort zur 3. Auflage11
Einleitung12
I. Theoretischer Hintergrund15
Kapitel 1 Beschreibung schizophrener Störungen17
1.1Symptomatik17
1.2Begriff, Begriffsverwendung und Stigmatisierung21
1.3Klassifikation22
1.4Differenzialdiagnostik25
1.5Komorbide Störungen26
1.6Verlauf und Prognose27
1.7Epidemiologische Befunde29
1.7.1Prävalenz der Schizophrenie29
1.7.2Psychoseähnliche Symptome in der Normalbevölkerung29
Kapitel 2 Ätiologie32
2.1Risikofaktoren32
2.1.1Genetische Risikofaktoren32
2.1.2Prä- und perinatale Risikofaktoren33
2.1.3Kritische Lebensereignisse33
2.1.4Kindheitstraumata34
2.1.5Migration34
2.1.6Urbanizität35
2.1.7Alltagsstressoren35
2.1.8Gemeinsamer Nenner sozialer Risikofaktoren35
2.2Neurochemische Befunde und Erklärungsmodelle36
2.3Vulnerabilitäts-Stress-Modelle37
2.4Kognitiv-behaviorale Erklärungsansätze38
2.4.1Psychologische Grundlagenforschung zu Wahn38
2.4.2Kognitive Modelle zur Entstehung von Wahn41
2.4.3Psychologische Grundlagenforschung zu Halluzinationen42
2.4.4Kognitive Modelle zur Entstehung von Halluzinationen44
2.4.5Psychologische Grundlagenforschung zu Negativsymptomatik45
Kapitel 3 Diagnostische Verfahren49
3.1Ziele der Diagnostik49
3.2Diagnostische Verfahren50
3.2.1Instrumente zur Diagnoseerstellung51
3.2.2Instrumente zur Symptomerfassung51
3.2.3Verfahren zur Erfassung neuropsychologischer Defizite54
3.2.4Instrumente zur Erhebung dysfunktionaler Kognitionen54
3.2.5Ein Instrument zur Erfassung KVT-spezifischer Veränderungen55
Kapitel 4 Überblick über Behandlungsansätze56
4.1Klassifikation der Behandlungsansätze56
4.2Medikamentöse Ansätze56
4.2.1Akutbehandlung56
4.2.2Längerfristige Behandlung (Rezidivprophylaxe)57
4.3Psychotherapeutische Ansätze59
4.3.1Psychoedukation (mit und ohne Einbezug der Familie)59
4.3.2Kognitiv-verhaltenstherapeutische Familieninterventionen60
4.3.3Systemische Familieninterventionen61
4.3.4Soziale Kompetenztrainings62
4.3.5Kognitive Remediation62
4.3.6Metakognitives Training63
4.3.7Psychodynamische Ansätze64
4.3.8Gesprächspsychotherapie65
4.3.9Dritte-Welle-Ansätze65
4.3.10Leitlinienempfehlungen der DGPs66
Kapitel 5 Kognitive Verhaltenstherapie für Schizophrenie68
5.1Was ist kognitive Verhaltenstherapie bei Schizophrenie?68
5.2Entwicklung der kognitiven Verhaltenstherapie69
5.3Bisheriger Forschungsstand70
II. Therapie81
Kapitel 6 Rahmenbedingungen83
6.1Zielgruppe83
6.2Struktur und Aufbau der Therapie83
6.3Settings und Formales84
6.4Einbettung der Therapie in andere Behandlungsangebote84
6.5Therapeutische Voraussetzungen85
6.6Beziehungsgestaltung85
Kapitel 7 Einstieg, Zielerklärung, Diagnostik und Erarbeitung von Erklärungsmodellen90
7.1Einstieg90
7.2Klärung von Zielen und Erwartungen91
7.3Problemerfassung und Diagnostik92
7.3.1Ziele der Diagnostik92
7.3.2Die therapeutische Haltung während der diagnostischen Phase92
7.3.3Einstieg in die diagnostische Phase93
7.3.4Diagnoseerstellung93
7.3.5Erfassung relevanter Symptome93