1. KAPITEL
„Aber dumusst mich heiraten!“, sagte Gemma in verzweifeltem Ton. „Es ist nicht mal mehr eine Woche bis zu meinem Geburtstag. Ich werde alles verlieren, wenn du mich nicht heiratest!“
Das mechanische Surren von Michael Carters Rollstuhl, als er sich weiter von ihr entfernte, ließ Gemma das Blut in den Adern gefrieren.
Er war ihre letzte Hoffnung.
Alles, was sie durchgemacht hatte – alles, was sie beide durchgemacht hatten – all der Kummer und das Leid wären vergeblich gewesen, wenn er sich nicht an ihre Abmachung halten würde.
„Ich kann es nicht“, erwiderte Michael und wich ihrem panischen Blick aus. „Ich dachte, ich könnte es tun, aber es geht einfach nicht. Es wäre nicht richtig.“
„Richtig?“ Sie spuckte dieses Wort aus, als würde es ihr die Kehle verbrennen. „Was ist nicht richtig daran, dass ich Anspruch auf das erhebe, was mir rechtmäßig zusteht? Du hast den Bedingungen zugestimmt, Herrgott noch mal!“
„Ich weiß, aber die Dinge liegen jetzt anders.“
Gemma blickte ihn nun erschrocken an. „Willst du mehr Geld?“, fragte sie und rechnete in Gedanken schon durch, wie viel Geld sie noch vom Vermögen ihres verstorbenen Vaters abzweigen konnte. Sie würdeThe Landerstalle Hotel verkaufen müssen, aber das war ihre geringste Sorge. Sie wollte es sowieso nicht.
Sie warf Michael einen durchdringenden Blick zu. „Geht es dir darum? Willst du mehr Geld?“
Er wendete den Rollstuhl mit einem Geschick, das sie insgeheim immer bewundert hatte, und seine grauen Augen wurden von einem Ausdruck erfüllt, den sie noch nie darin gesehen hatte. „Hör mir zu, Gemma. Du weißt, dass ich nie ein richtiger Ehemann für dich werde sein können …“
„Ich will keinen richtigen Ehemann! Gerade du solltest das wissen.“
„Es tut mir leid … du musst denken, dass ich dich absichtlich im Stich lasse, aber so ist es absolut nicht“, erwiderte er.
In Gemmas kobaltblauen Augen begannen Tränen aufzusteigen, doch mit der Entschlossenheit, die nach dem Unfall, der ihrer beider Leben verändert hatte, zu ihrem Markenzeichen geworden war, gelang es ihr, sie zurückzuhalten.
„Ohne dich kann ich es nicht schaffen, Michael. Es ist doch nur für sechs Monate.Sechs lächerliche Monate! Ist das zu viel verlangt?“
Er sah ihr nicht in die Augen. „Ich habe andere Pläne … Ich gehe weg. Vielleicht nach Übersee … Ich habe das Gefühl, dass ich einen gewissen Abstand zwischen meiner Vergangenheit und meiner Zukunft brauche.“
„Und was ist mitmeiner Zukunft?“, fragte sie. „Ohne dich habe ich keine Zukunft! Du bist der Einzige, der mir helfen kann. Ich brauche einen Ehemann, und zwar in einer knappen Woche, sonst …“ Sie konnte die Worte nicht einmal laut aussprechen, es schmerzte zu sehr.
„Schau, es tut mir leid, aber so ist es nun einmal. Ich kann es nicht. Du musst jemand anderen finden.“
Fassungslos sah sie ihn an. „Sieh mich an, Michael. Ich bin nicht gerade eine Schönheit. Wo soll ich wohl in weniger als einer Woche einen Ehemann herbekommen?“
„Das ist nicht mein Problem. Außerdem solltest du dein Aussehen nicht immer schlechtmachen. Du hast keinen Grund, dich zu schämen.“
Nein, dachte sie in einem plötzlichen, schmerzhaften Anfall von Schuldgefühlen.Nur für die Tatsache, dass ich in einem Moment unüberlegter Dummheit unser beider Chancen auf ein normales Leben zerstört habe.
Sie hatte nie verstanden, mit welcher Verbissenheit Michael die Folgen dieses schrecklichen Tages akzeptierte, selbst jetzt, mehr als fünf Jahre später, verstand sie es nicht. Beide hatten sie keine Erinnerung an den Unfall selbst, was vielleicht ein kleiner Segen war. Sie erinnerte sich jedoch vage daran, dass sie zu Michaels Haus gefahren war, nachdem sie sich einmal mehr heftig mit ihrer Stiefmutter gestritten hatte, doch an die genaueren Umstände dieses Streits konnte sie sich nicht erinnern.
Michael hatte Gemma nie offen die Schuld gegeben, aber in letzter Zeit hatte sie unterschwellig eine Veränderung an ihm gespürt. Wollte er deswegen in letzter Minute aussteigen, um sie zu bestrafen für das, was sie ihm angetan hatte?
„Ich muss jetzt gehen“, sagte er in das lastende Schweigen hinein. „Ich werde abgeholt.“ Er schaltete seinen Rollstuhl ein, fuhr etwas näher zu ihr und streckte ihr die Hand hin. „Leb wohl, Gemma. Ich hoffe, dass sich für dich alles zum Guten wendet. Das meine ich ehrlich. Ich glaube, es ist das Beste, wenn wir uns nicht wiedersehen. Wir beide müssen unser Leben weiterleben, müssen endlich loskommen von … jenem Tag.“
Gemma sah ihm tief in die Augen, aber er schien ihren Blick nicht aushalten zu können. „Leb wohl, Michael“, erwiderte sie und zwang ihre Stimme zu einem kalten, harten Tonfall, der gleichgültig klingen sollte, obwohl sie doch innerlich das Gefühl hatte, dass alles um sie herum zusammenbrach.
Wie versteinert stand sie noch immer da, als ein paar Minuten später ein junger Mann erschien. Er half Michael hinaus und in