: Eckart zur Nieden
: Murmeln und Granaten Wie meine Familie vor dem Krieg davonlaufen wollte
: Francke-Buch
: 9783963629587
: 1
: CHF 7.90
:
: Biographien, Autobiographien
: German
: 138
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Eckart zur Nieden ist sechs Jahre alt, als er mit seiner Familie vor dem Krieg flüchtet. Sein Vater ist gefallen, die Mutter hat mit den drei Kindern Berlin verlassen und bei ihren Eltern in Nordhessen Schutz gesucht. Aber weil die Bevölkerung mit dem Einmarsch der feindlichen Truppen rechnet, will die Familie sich in Sicherheit bringen und geht erneut auf die Flucht. Diese Autobiografie basiert auf den Erinnerungen des Autors als Sechsjährigem, den Tagebuchaufzeichnungen der Mutter und den Berichten der heute 97-jährigen Tante. Sie ist ein berührendes Dokument, das zeigt, dass Gott selbst in den dunklen Zeiten seine Geschichte schreibt und schon früh im Leben von Eckart zur Nieden eine Spur des Glaubens gelegt hat. Im Rückblick erkennt der Autor: »Gott hat während unserer Flucht erste Strahlen seines Lichts in mein Leben fallen lassen.«

Eckart zur Nieden arbeitete nach seiner theologischen Ausbildung in einem Missionswerk und dann 35 Jahre beim Evangeliums-Rundfunk (ERF) in Wetzlar. Er schrieb viele Bücher für Kinder und Erwachsene.

Zögernd und unsicher trete ich aus der Haustür auf den gepflasterten Hof. Das ist ungewöhnlich, denn sonst springe ich unbefangen und fröhlich zum Spielen aus dem Haus. Wir wohnen hier noch nicht lange, erst seit wir Berlin verlassen mussten. Wegen der Bomben. Jetzt leben wir bei den Großeltern in dem Haus, das zu dem Fabrikgelände gehört. Großvater arbeitet hier als Prokurist. Zu dieser Zeit weiß ich natürlich nicht, was ein Prokurist ist.

Nichts ist wie immer in diesen Tagen. Über allen liegt eine Angst, die ich nicht verstehe. Und eine Angst, die sich von den Erwachsenen auf die Kinder überträgt und die man nicht versteht, ist schlimmer als eine, die man beschreiben kann.

Wie zum Beispiel der riesige Ofen. Ich schaue nach rechts. Dort steht das Haus, das ein einziger großer Ofen ist. Dort werden die Schmelztiegel gebrannt.

Diese grauen Tiegel werden in der großen Halle gemacht. Riesige, dickwandige Töpfe, wie übergroße Blumenvasen. Ich könnte mich hineinhocken und wäre von der Seite nicht zu sehen. Aber natürlich darf ich das nicht, schon gar nicht, wenn sie noch nicht hart gebrannt sind.

Alle paar Tage machen sie in dem Ofenhaus ein großes Feuer, um die Tiegel zu brennen und damit hart zu machen. Dann gibt es dort ein Angst einflößendes Feuer. Es ist so heiß und groß, dass oben aus dem Schornstein himmelhohe Flammen herausschlagen.

Ich stehe dann immer in respektvollem Abstand und schaue zu, mit einer Mischung aus Furcht und Bewunderung für die Männer, die sich so nah herantrauen an dieses Höllenfeuer. Ich ahne nicht, dass ich bald Dinge erleben werde, die noch mehr an die Hölle erinnern.

Heute ist der Brennofen nicht angeheizt. Auch sonst ist nichts los auf dem Fabrikhof. Vielleicht ist es noch zu früh.

Die Leere auf dem Fabrikhof verstärkt das Gefühl, dass etwas ganz anders ist als sonst.

Wie soll auch ein noch nicht Sechsjähriger verstehen, warum wir heute fliehen! Und wovor? Und wohin?

Sie haben versucht, es mir zu erklären. Die Feinde kommen. Die einen von da drüben, wo der Hirschberg ist, aus dem sie den Ton für die Tiegel ausgraben, und der Pfaffenberg, wo die Hauptstraße herunterkommt. Das sind die Amerikaner.