: Michael Nast
: Vom Sinn unseres Lebens Und andere Missverständnisse zwischen Ost und West
: Edel Books - ein Verlag der Edel Verlagsgruppe
: 9783841906854
: 1
: CHF 13.20
:
: Lebenshilfe, Alltag
: German
: 208
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Wie wir uns als Ost- und Westdeutsche im Wahnsinn des Alltags auf das Wesentliche besinnen Zwischen Konsum- und Selfie-Wahn, Selbstoptimierung, Ichbezogenheit und dem Schwelgen in Luxusproblemen macht Michael Nast deutlich, wie zahlreich die Missverständnisse zwischen Ost und West im Alltag immer noch sind. Heiter, philosophisch und nachdenklich, zeigen uns seine Anekdoten eine Welt, in der das Miteinander immer mehr in den Hintergrund gerät.Wo sind eigentlich die Werte, nach denen wir leben wollen? »Vom Sinn unseres Lebens« hieß das Buch, das Michael Nast feierlich zur Jugendweihe überreicht bekam. 30 Jahre nach dem Mauerfall nimmt er es zum Anlass, über dieses Ereignis und den Titel nachzudenken. Das Leben steckt voller Skurrilitäten und Widersprüche, die kaum hinterfragt werden, weil wir uns an sie gewöhnt haben. In unserem gefüllten, aber nur selten erfüllten Alltag übersehen wir oft, worauf es eigentlich ankommt. Nast beleuchtet unsere zwischenmenschlichen Beziehungen und das Verhältnis zwischen Ost und West, das in unserer Gesellschaft noch immer ein Thema ist. So vergeblich, wie Nast damals in der DDR-Bibel nach Antworten gesucht hat, so irritiert steht er noch heute mitunter vor dem alltäglichen Wahnsinn unserer schnelllebigen Welt.

Michael Nast, geboren 1975, landete mit »Generation Beziehungsunfähig« den Bestseller des Jahres 2016 und wurde zum Sprachrohr einer ganzen Generation. Mit seiner außergewöhnlichen Beobachtungsgabe ergründet er Situationen und Tatsachen wie kein anderer. 2018 erschien mit »#EGOLAND« sein erster Roman, 2019 das Sachbuch »Vom Sinn unseres Lebens«. Michael Nast lebt und arbeitet in Berlin als freier Kolumnist, Buch- und Drehbuchautor.

VOM SINN UNSERES LEBENS


Vorwort


Am 12. März 2019, dem Tag, an dem das Internet 30 Jahre alt wurde, saß ich an meinem Schreibtisch und blätterte inVom Sinn unseres Lebens, einem Buch, das mir am 16. April 1989 – also nur einen guten Monatnachder Geburt des Internets und ein halbes Jahrvordem Mauerfall und dem Ende der DDR – im Kino International vom »Zentralen Ausschuss für Jugendweihe in der Deutschen Demokratischen Republik« überreicht wurde. Es war ein Propagandaband voller unfreiwilliger Komik.

Wer mit dem Begriff Jugendweihe nichts anfangen kann: Sie ist gewissermaßen eine Konfirmation ohne Gott. Das lag daran, dass die DDR mit Gott nicht viel anfangen konnte. Also wurde er durch »die große und edle Sache des Sozialismus« ersetzt. Die Staatsführung hat versucht, eine Gesellschaftsordnung religiös aufzuladen, indem sie ein ähnliches Ritual wie die Kirchen benutzte. Es hat nicht wirklich geklappt. Obwohl die führenden Köpfe der SED es sich sicher gewünscht hätten, haben – soweit ich weiß – die Leute auf dem Sterbebett im Angesicht ihres nahenden Todes dann doch eher nach Gott gerufen und nicht nach ihrem Parteisekretär.

Es ist ein merkwürdiger Zufall, dass das Ende der DDR mit der Geburt des Internets zusammenfällt. Diese Ereignisse stehen schließlich für die beiden wichtigsten Umbrüche in meinem Leben. Es gibt einschneidende Erlebnisse, die ein Leben teilen – in die Zeit davor und die Zeit danach. Zum ersten Mal wurde mein Leben durch den Mauerfall vor 30 Jahren förmlich umgewälzt. Der zweite Umbruch findet gerade statt, sukzessiv, Stein für Stein – es ist die Zeit, in der wir leben. Damals musste ich mich als Ostdeutscher in ein bestehendes System einfügen. Heute betrifft es uns alle –wir erleben, wie durch die digitale Revolution etwas vollkommen Neues entsteht, das nur schwer einzuschätzen ist. Es ist kein harter Schnitt wie die Wiedervereinigung, es ist ein Prozess, an dessen Anfang wir gerade stehen, der das Leben vieler bereits geändert hat und an dessen Ende sich unser aller Leben grundlegend geändert haben wird.

Beim ersten Umbruch meines Lebens war ich 14 Jahre alt. Ich war in Ost-Berlin aufgewachsen und in der DDR sozialisiert, aber noch jung genug, um mich wie selbstverständlich im Kapitalismus zurechtzufinden, als die Mauer fiel. Ich bilde mir jedoch ein, durch meine ostdeutsche Vergangenheit einen sensibleren Blick für viele Details zu haben, den Menschen, die im Kapitalismus geboren und aufgewachsen sind, nicht besitzen, weil sie nie einen anderen Entwurf kennengelernt haben.

Inzwischen habe ich mehr Zeit im Kapitalismus verbracht als im real existierenden Sozialismus. Das hat natürlich etwas mit mir gemacht. Auch mir geht es darum, das perfekte Leben aus dem Angebotskatalog der freien Marktwirtschaft zusammenzustellen. Ein Leben, das zu dem Menschen passt, für den ich mich halte und für den ich gehalten werden möchte. Die passende Wohnung, die passenden Möbel, die passende Ernährung, die dazu passenden Freunde und den passenden Partner. Alles soll passen. Ich modelliere einen angemessenen Rahmen für ein Leben, das einem in Kinofilmen, Werbespots und den perfekt gefilterten Fotos auf unzähligen Instagram-Profilen versprochen wird. Auch ich kann mich, trotz meiner sozialistischen Vorprägung, dem verführerischen Sog des vorgefertigten Individualismus nicht entziehen. Ich will anders sein, individuell, mich unterscheiden, aber genau genommen mache ich genau das, was alle machen. Mein Leben kreist um Geldanlagen und den richtigen Urlaubsort, um Eigentumswohnungen und darum, welcher meiner Posts die meisten Likes erhält. Welche Überschrift ein Text haben muss, damit ihn in den sozialen Medien möglichst viele anklicken, es geht um Bestsellerlisten und darum, dass die Frisur richtig sitzt. Es geht um Zahlen, Erfolg und Äußerlichkeiten. Ich frage mich viel zu selten, ob dieses uniformierte Glück etwas mit mir zu tun hat. Und dann frage ich mich, was mein Leben verbessert.