18. November 1943
Lieber Eberhard!
Ichmuss die Gelegenheit Deiner Nähe einfach wahrnehmen, Dir zu schreiben. Du weißt ja, dass man mir hier sogar den Pfarrer versagt hat; aber selbst wenn er gekommen wäre – und ich bin eigentlich ganz froh, dass ichnur die Bibel habe –, hätte ich mit ihm ja nicht so sprechen können, wie ich es eben allein mit Dir kann.
Du kannst Dir kaum denken, wie ich in den ersten Wochen meiner Haft darum gebangt habe, dass Dir Deine Heiratspläne nicht zerschlagen würden, ich habe sehr für Dich gebetet und für Renate und Gott für jeden Tag gedankt, an dem ich Gutes von Euch hörte. Auch Euer Hochzeitstag warwirklich ein Freudentag für mich wie ganz wenige. Später im September habe ich darunter gelitten, Dir nicht beistehen zu können. Aber die Gewissheit, dass Du bisher so unglaublich freundlich geführt worden bist, hat mich ganz zuversichtlich gemacht, dass Gott es sehr gut mit Dir meint. Dass Ihr ein Kind erwartet, Eberhard, das freut mich so, wie ich es gar nicht sagen kann. Lass uns dieses Kind auf seinem Weg in die Welt mit vielen, vielen Gebeten begleiten!
Und nun sei mir heute – nach so langen Monaten ohne Gottesdienst, Beichte und Abendmahl und ohne consolatio fratrum [Rat der Brüder] – wieder einmal, wie Du es schon so oft gewesen bist, mein Pfarrer und höre mich an. Es wäre ja so unendlich viel zu berichten, was ich Euch beiden gern erzählen wollte; aber heute kann es nur das Wesentlichste sein und so gilt dieser Brief Dir allein. Was Du davon weitergeben kannst, weißt Du allein. Seit Du einmal vor vielen Jahren für mich und mit mir gebetet hast – ich vergesse das nie –, glaube ich, dass Du für mich bitten kannst wie kein anderer. Darum wollte ich Dich bitten und auch ich tue es täglich für Dich. Und nun lass Dir also einiges berichten, was Du über mich wissen sollst. In den ersten 12 Tagen, in denen ich hier als Schwerverbrecher abgesondert und behandelt wurde – meine Nachbarzellen sind bis heute fast nur mit gefesselten Todeskandidaten belegt –, hat sich Paul Gerhardt in ungeahnter Weise bewährt, dazu die Psalmen und die Apokalypse. Ich bin in diesen Tagen vor allen schweren Anfechtungen bewahrt worden. Du bist der einzige Mensch, der weiß, dass die „acedia“ [