: Berndt Marmulla
: Der Weihnachtsmord
: Bild und Heimat
: 9783959587860
: 1
: CHF 3.60
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: Krimis, Thriller, Spionage
: German
: 192
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Ostberlin, 1970/71: Eine verbrecherische Jugendgang treibt im Klinikum Buch ihr Unwesen, bricht in die Wohnungen des Personals ein, plündert in Kiosken, Werkstätten und der Sparkasse. Mittels einer Schuheindruckspur wird der Roland K. als Täter überführt und zu einer Haftstrafe verurteilt. Der 17-Jährige ist der Kopf der Bande und mit allen Wassern gewaschen. Wieder in Freiheit, wird er wieder straffällig - und reist in die BRD aus. Im Westen setzt Roland K. seine Verbrecherkarriere fort / Doch auch hier macht er sich in einschlägigen Kreisen einen Namen/ ist die Welt nicht vor ihm sicher ... Ostberlin, 1984: In mehreren Stadtbezirken lauert ein Mann nach Schulschluss Mädchen im Alter zwischen neun und zwölf Jahren auf und verschleppt sie an abgelegene Orte, wo er sie brutal missbraucht. Endlich führt ein handschriftlicher Zettel, den der Unbekannte an einem Tatort liegen lässt, die Ermittler auf die Spur ... Am 23. Dezember 1987 wird eine 88-jährige Rentnerin von Nachbarn tot in ihrer Wohnung in der Friedrichshainer Mühsamstraße aufgefunden. Alles spricht für einen natürlichen Tod. Doch der Fundort gibt Rätsel auf, eine Obduktion wird angeordnet. Der Verdacht bestätigt sich, die alte Dame wurde erwürgt. Diese und zwei weitere aufsehenerregende Kriminalfälle rekapituliert Ex-Kriminaloberrat Bernd Marmulla, der als Ermittler an der Aufklärung der Verbrechen beteiligt war. Anhand originaler Akten und authentischen Bildmaterials rekonstruiert er den realen Hergang der Taten und den spannenden Prozess ihrer Aufdeckung - und erzählt nebenbei vom Leben in der damaligen Hauptstadt der DDR.

Berndt Marmulla, geboren 1946 in Berlin, arbeitete seit den 1960er Jahren als Polizist und schied als Kriminaloberrat aus dem aktiven Dienst aus. In Ostberlin leitete er das Dezernat für Schwere Verbrechen und Serientäter, in Westberlin bekämpfte er Straftaten im Raubdezernat. In der Reihe Blutiger Osten erschienen von ihm bereits Ein Mord wie im Kino (2015) und Der Kinderwagen-Brandstifter (2019).

Reise in die Vergangenheit

Berlin, 6. Juli 1994. Ein sonniger Sommertag. Vögel zwitschern in den Bäumen und unsere Katze spitzt die Ohren. Ich sitze auf dem Balkon, trinke die zweite Tasse Kaffee und schaue dem vorbeifahrenden 155er-Bus in Richtung S-Bahnhof Pankow nach. Kleine Kinder spielen vor dem Haus, lachen und rangeln herum. Ein Junge zieht einem Mädchen an den Zöpfen. Ich grinse und erinnere mich an meine eigene Schulzeit, in der ich Monika, die direkt vor mir saß, solange an ihrem Pferdeschwanz zupfte, bis sie heulte und die Lehrerin mich vor die Tür schickte.

Mein Gott, denke ich,ist das lange her. Eine Nachbarin und ihr Enkel kommen mit vollen Taschen vom Einkauf zurück. Ich winke ihnen zu. Sie grüßen zurück. Ich habe das Gefühl, im Urlaub zu sein. Weit weg vom Alltag und all den Kleinigkeiten, die noch zu erledigen sind. Zur Bank gehen, das Referat für den nächsten Tag vorbereiten. Und zum Sport und in die Sauna will ich auch noch. Also volles Programm. Mitten in meinen Gedanken hinein öffnet meine Frau die Balkontür und drückt mir die BZ in die Hand.

»Schau mal, das wird dich mit Sicherheit interessieren«, sagt Gabi und bleibt erwartungsvoll im Türrahmen stehen.

Obwohl ich keine Lust zum Lesen habe, hat sie mich neugierig gemacht. Und Neugier ist ein wesentlicher Antrieb in meinem Leben. Als mein Blick in die Zeitung fällt, traue ich meinen Augen nicht. Das Bild eines alten »Bekannten« springt mir entgegen. Ein Foto von Reiner S. Ein alter Fall aus meiner fünfundzwanzigjährigen Vergangenheit bei der Kriminalpolizei. Obwohl ich seit zwei Jahren außer Dienst bin, versetzt mich das Foto und die Überschrift »33-jähriger Sexualtäter erneut festgenommen« schlagartig in eine andere Zeit. Er hat sich äußerlich nur wenig verändert. Die gleichen flach gekämmten Haare, die großen, weit aufgerissenen Augen und das schmale Gesicht. Nur der Schnauzbart ist neu und auch seine verbrecherische Vorgehensweise. Hatte er damals Mädchen zwischen acht und elf Jahren sexuell missbraucht und gequält, so lese ich jetzt, dass er fünf Prostituierte in Berlin vergewaltigt hat. Ich lasse Sport und Sauna sein und gebe mich den Erinnerungen hin …

Berlin-Lichtenberg, Nöldnerstraße. Montag, 24. September 1984

Maike war ein aufgewecktes Mädchen. Zehn Jahre alt, dunkelblondes, halblanges Haar und Brillenträgerin. Sie lachte gern, war strebsam in der Schule und bei allen beliebt. Und sie verstand sich gut mit ihren Eltern. Im Gegensatz zu vielen anderen Kindern in ihrem Alter. Zum Abschied noch ein Küsschen für die Mama. Dann lief sie los. Sie war spät dran und auf keinen Fall wollte sie nach dem Schulklingeln ins Klassenzimmer kommen. Ein einziges Mal war ihr das passiert. Damals war sie vier Minuten zu spät in den Russischunterricht reingeplatzt und alle hatten sie angestarrt. Der Lehrer hatte sie stumm, aber mit einem Stirnrunzeln begrüßt. Und weil es ausgerechnet auch noch ihr Lieblingslehrer gewesen war, hatte sie sich besonders geschämt. Sie war rot angelaufen wie eine Tomate und hatte sich dann still auf ihren Platz gesetzt und ihre Tasche ausgepackt. Das war vor fast einem Jahr gewesen, hat aber bis jetzt ein mieses Gefühl bei ihr hinterlassen. Seitdem ist sie immer pünktlich gewesen.

Auch heute hatte sie es wieder pünktlich geschafft, wenn auch nur auf den letzten Drücker. Jedenfalls saß sie beim Klingeln auf ihrem Platz. Und nur das war wichtig. Irgendwie fand sie den heutigen Tag verdammt spannend. Die Biologielehrerin sprach über das Leben im Wasser. Von den Eintagsfliegen, deren Larven sich im Wasser entwickeln, über dem Wasser häuten und dass ihre Lebenszeit nur zwischen zwanzig Minuten und vier Tagen dauert. Als die Lehrerin erzählte, die Männchen würden kurz nach dem Geschlechtsakt sterben, kicherte die halbe Klasse. Im Deutsch­unterricht mussten alle einen Aufsatz schreiben. Das Thema: Ein Wochenende mit den Jungen Pionieren. Zwei Stunden hatten sie dafür Zeit. Maikes Fantasie schlug Purzelbäume. Sie kletterte auf Bäume, versteckte sich im Wald und ließ von den anderen suchen. Dann ab in den See und ein Wettschwimmen ver