1. KAPITEL
Autry Jones stand vor der Kindertagesstätte „Just Us Kids Daycare Center“. Er hatte sich noch immer nicht daran gewöhnt, dass die ehrwürdige Firma seiner Familie, Jones Holdings, Inc., nun auch im Kinderbetreuungsgeschäft tätig war. Und jetzt würde er dort hineingehen.
Autry und Kinder – das war keine gute Kombination. Überhaupt hatten die Jones’ mit Kindern nicht viel am Hut. Dennoch hatten zwei seiner vier Brüder nicht nur in diese Kleinstadt in Montana eingeheiratet, sondern auch noch in größerem Stil in ein Franchiseunternehmen für Tagesbetreuung investiert.
Er atmete tief durch, öffnete die Tür und trat ein.
Überall kleine Kinder!
Ein pausbäckiges Baby hockte auf dem Arm einer Frau mittleren Alters, ein Krabbelkind baute einen Turm aus Bauklötzen, und ein kleines Mädchen saß an einem Kindertisch und malte ein Haus und eine lachende Sonne.
Die Frau mit dem Baby kam lächelnd auf Autry zu. „Miss Marley“ stand auf ihrem Namensschild.
„Hi, Miss Marley“, sagte er und reichte ihr die Hand. „Ich bin Autry Jones. Mein …“
„Sie müssen sich nicht vorstellen, Autry! Dass Sie ein Bruder von Walker und Hudson sind, ist nicht zu übersehen. Die beiden haben Sie auch angekündigt für heute. Aber Sie haben sie verpasst, sie sind schon unterwegs ins ‚Ace in the Hole‘. Niemand in dieser Stadt lässt sich das Fernseh-Event entgehen!“
„Ace in the Hole?“ Ass im Ärmel? Fernseh-Event?
Miss Marley sah ihn an, als käme er vom Mars. „Natürlich um die Fernsehshow ‚The Great Roundup‘ anzusehen! Ich muss mit diesem Schätzchen und den Myler-Kindern die Stellung halten, bis ihre Eltern Feierabend haben. Aber drei Leute haben versprochen, mir die Sendung aufzuzeichnen.“
Aha, eine Fernsehshow, wusste Autry nun. Damit kannte er sich nicht aus. Als Geschäftsführer der Jones Holdings, einer Firma, die international im Immobiliengeschäft und in der verarbeitenden Industrie tätig war – und neuerdings in der Tagesbetreuung –, war Autry damit ausgelastet, Geschäfte auszuhandeln und Geld zu verdienen. Zum Fernsehen blieb da keine Zeit. Selbst die Wartezeiten auf den Flughäfen und Langstreckenflügen nutzte er zum Arbeiten. Das wurde von der Familie erwartet. Nun ja, zumindest von seinem Vater.
Doch nun hatte er ganze drei Wochen Zeit für sich – keine Geschäftstermine bis zu den Verhandlungen Ende August mit der Thorpe Corporation in Paris. Er hätte diese dringend benötigte Auszeit am Strand von Bali oder in Kalifornien verbringen und den Anblick schöner Frauen in Bikinis genießen können. Doch zwei seiner Brüder hatten die Familie damit schockiert, dass sie Frauen aus dem Hinterland von Montana geheiratet hatten.
Rust Creek Falls. Wenige Häuser in ganz viel Wildnis. Walkers Beschreibung: „eine Art Wilder Westen“, war nicht übertrieben gewesen.
Walker Jones der Dritte, sein ältester Bruder, von Natur aus alles andere als ein Kleinstädter und der leitende Geschäftsführer des Familienunternehmens, hatte hier nicht nur ein Jones-Holdings-Büro aufgebaut, sondern auch ein richtiges Blockhaus, das er mit seiner frisch Angetrauten Lindsay Dalton Jones bewohnte. Es war zwar der pure Luxuspalast, aber immer noch ein Blockhaus in der Einöde von Montana. Das passte höchstens zu seinem Bruder Hudson, der das Rancherleben und die Weiten Wyomings und Montanas liebte. Hudson führte für Walker das Tagesbetreuungsgeschäft und hatte sich in Bella Stockton, die Managerin, verliebt. Inzwischen lebte das glücklich verheiratete Paar auf der Lazy B Ranch.
Zwei Jones-Brüder waren also runter vom Heiratsmarkt. Besser gesagt, drei, denn Autry hielt trotz seiner dreiunddreißig Jahre nicht viel vom Heiraten. Die jüngeren Brüder, Gideon und Jensen, würde sich wohl auch nicht einfangen lassen. Obwohl – wenn es Walker und Hudson erwischt hatte, schien nichts unmöglich.
Autry verband nicht viel mit seinen Brüdern und diese drei freien Wochen sah er als Chance, das zu ändern.
Zwischen ihrem Vater, dem sehr dominanten Walker Jones dem Zweiten, und seinem Sohn Walker dem Dritten gab es Unstimmigkeiten. Was Hudson anging, so hatte der Vater es schon lange aufgegeben, diesen „missratenen“ Sohn in das Familiengeschäft integrieren zu wollen. Wenn Autry nicht versuchte, die Bindung zu seinen Brüdern zu festigen und die Wogen zwischen ihnen und ihrem Vater zu glätten, würde die Familie auseinanderbrechen. Die Eltern schien das nicht zu kümmern. Doch Autry wollte verstehen, weshalb seine Brüder so unerwartet eine derart verbindliche Beziehung wie eine Ehe eingegangen waren.
„Wessen Daddy bist du?“, fragte das kleine Mädchen plötzlich und fixierte Autry mit großen Augen.
Niemandes. Und so soll es auch bleiben. „Ich bin kein Daddy, Schätzchen, ich bin nur zu Besuch.“
„Das ist Mr. Autry, der Bruder von Mr. Walker und Mr. Hudson“, erklärte Miss