1. KAPITEL
Es sah Rick Masters gar nicht ähnlich, abends einfach mit dem Wagen herumzufahren. Schließlich hatte er eine Menge zu tun. Unzählige Berichte mussten gelesen und zahlreiche Verträge unterschrieben werden. Demnächst war seine Entscheidung fällig, wie viele Abteilungen der Firmenzentrale von „Masters Enterprises“ in seine alte Heimat verlegt werden sollten, und das wiederum würde sich unmittelbar auf Hunderte von Menschen auswirken.
Jetzt war eindeutig nicht der richtige Zeitpunkt, um ziellos durch menschenleere Straßen zu fahren.
Tatsächlich war Rick gar nicht so ziellos. Schon seit langem schwebte ihm etwas Bestimmtes vor. Mochte er sich auch noch so oft das Gegenteil einreden, wusste er doch genau, wohin er fuhr. Nach langem Zögern hatte er nun endlich vor einer Stunde eine bestimmte Adresse aus dem Telefonbuch herausgesucht und festgestellt, dass Joanna noch immer in dem alten Haus wohnte, von dem er an milden Abenden träumte, wenn ihn die Erinnerungen einholten.
Heute war ein solcher Abend. Vielleicht war es ein Fehler, hierher zurückzukehren, und vielleicht wäre es besser, sich dieser Herausforderung nicht zu stellen. Allerdings war es nun zu spät, um seine Meinung zu ändern.
Außerdem käme es in Ricks Augen einer Niederlage gleich, wenn er auf eine Frage keine Antwort fände. Und schon von klein auf steckte er Niederlagen grundsätzlich nicht ein. Das ließ sein Ehrgeiz nicht zu.
Weil er in Gedanken war, fuhr er zu schnell über eine Kreuzung und warf einen besorgten Blick in den Rückspiegel. Er atmete erleichtert auf, als er hinter sich keine zuckenden Rot- und Blaulichter sah. Ihm war klar, dass etwas mehr innere Ruhe angebracht war. Es hatte keinen Sinn, sich von Gefühlen leiten zu lassen und auf die notwendige Vorsicht zu verzichten.
Schon einmal hatte er sich nicht abgesichert und war dadurch verwundbar geworden. Das war zwar schon Ewigkeiten her, doch kam es ihm so vor, als wäre es erst gestern geschehen.
Rick betrachtete die verlassenen Straßen, in denen er aufgewachsen war. Wie sonderbar, wieder hier zu sein! Noch sonderbarer erschien es ihm, dass Joanna noch immer in Bedford lebte. Nachdem er fortgegangen war, hatte er sich bewusst nicht mehr nach ihr erkundigt. Dabei hätte er gern gewusst, wie ihr Leben seither verlaufen war. Dabei sollte es eigentlich genügen, dass sie nichts mehr mit ihm zu tun hatte. Wie hieß es doch? Aus den Augen, aus dem Sinn. So war das wohl stets.
Aus dem Sinn? Ricks Mund verzog sich zu einem ironischen Lächeln, während er nach rechts abbog. Davon konnte man bei seinem derzeitigen Verhalten wohl kaum sprechen.
Ein Einkaufszentrum stand jetzt an der Stelle, an der sich früher ein Orangenhain befunden hatte. Bedford war in den letzten acht Jahren beachtlich gewachsen. Aber wieso auch nicht? Er hatte sich schließlich auch weiterentwickelt.
Stimmte das wirklich? Irgendwie fühlte Rick sich nicht wie der erfolgreiche Vizepräsident von „Masters Enterprises“, sondern unverändert wie der Junge, der sich rettungslos in das falsche Mädchen verliebt hatte.
Damals hatte er Joanna nicht für das falsche Mädchen gehalten, aber inzwischen hatte er dazugelernt. Sehr viel sogar! Seine derzeitige Position hatte er sich erarbeitet und nicht als Sohn des Chefs erworben. Ohne entsprechende eigene Leistungen hätte er die Firma nicht im letzten Oktober nach dem Herzinfarkt seines Vaters übernehmen können.
Innerhalb von sechs Monaten war der Machtwechsel vom Vater zum Sohn unerwartet glatt verlaufen. Warum auch nicht? Seit langem gab es für Rick nur noch das Geschäft, sonst nichts. So war das, seit er von dem Menschen betrogen worden war, dem er das am wenigsten zugetraut hatte.
Diesen Reinfall hatte er sich selbst zuzuschreiben. Damals hatte er sich zum ersten und letzten Mal von seinem Herzen und nicht von seinem Vers