Priestermangel und Missbrauchsvorwürfe zwingen den Vatikan, über den Zölibat zu reden.
Rom, 4. April 2014. Der Bischof der brasilianischen Diözese Xingu, Erwin Kräutler, wird von Papst Franziskus zu einer Privataudienz empfangen.[1] Beide Männer küssen sich gegenseitig Hand und Ring, wie es in Lateinamerika bei einer Begrüßung üblich ist. Die Atmosphäre ist äußerst entspannt, und der Bischof berichtet dem Papst von der Situation der indigenen Bevölkerung im Amazonasgebiet: Neunzig Prozent der Gemeinden seiner Diözese können am Sonntag nicht regelmäßig Eucharistie feiern, siebzig Prozent sogar nur drei Mal im Jahr, weil es so gut wie keine Priester gibt. Dann erzählt Kräutler Franziskus von der Einweihung einer Kapelle in einer abgelegenen Pfarrei, zu der er als Bischof eigens angereist war. Als die Tür der kleinen Kirche geöffnet wurde, war Kräutler schockiert, denn es fehlte der Altar. Er habe sofort darauf hingewiesen, dass die Feier der Eucharistie doch das Zentrum des Glaubens und katholischen Gemeindelebens sei, darauf habe ihm die Gemeindeleiterin geantwortet, das sei auch ihr klar. «Aber wir haben ja nur zwei bis drei Mal im Jahr Eucharistiefeier, … also brauchen wir keinen Altar.»[2] Für die paar Mal könne man einen Tisch hereintragen.
Bischof und Papst sind sich einig, «da läuft etwas auseinander», es kommt im Amazonasgebiet zu einer «fatalen Entwöhnung von der Eucharistie».[3] Einunddreißig Priester können unmöglich achthundert Gemeinden in einem Gebiet größer als die Bundesrepublik Deutschland betreuen. Franziskus und der Bischof erörtern Lösungsmöglichkeiten. Kräutler erinnert an den Vorschlag des südafrikanischen Bischofs Fritz Lobinger, Gemeinden ohne Priester künftig durch «Teams of Elders», eine Art Ältestenrat, kollektiv leiten zu lassen und diese Männer und Frauen «dann auch zu ordinieren, damit sie mit ihren Gemeinden auch die Eucharistie feiern können».[4] Das Thema der Viri probati – also verheirateter, in Ehe und Beruf bewährter Männer, die zu Priestern geweiht werden sollen – kommt ebenfalls zur Sprache. Die Audienz endet mit dem berühmt gewordenen Satz des Papstes, die Bischofskonferenzen sollten ihm «mutige» Vorschläge machen.[5]
Eine Privataudienz in dieser Atmosphäre und mit einer derartig offenen Aussprache über die Themen Priestermangel, Zölibat und Weihe von verheirateten Männern und Frauen wäre unter den Vorgängern von Papst Franziskus kaum möglich gewesen. Der Zölibat galt als «strahlender Edelstein» in der Krone der Kirche, der grundsätzlich nicht infrage gestellt werden durfte.[6] Gute Katholiken sprachen nicht darüber. Und im Gespräch zwischen den Hirten und dem obersten Hirten war er ohnehin kein Thema. Wer es wagte, über die Zölibatsverpflichtung für Priester auch nur zu reden, dem wurde rasch die Rechtgläubigkeit abgesprochen. Das war ein Thema für kritische Theologen,[7] für die «Kirche von unten»,[8] für «abgefallene» Priester, die ihr Amt wegen einer Frau aufgegeben hatten,[9] für Priesterfrauen,[10] für Priesterkinder[11] und nicht zuletzt für Romane und Filme.[12]
Intime Einsichten in das Sexualleben der Engel mit Priesterkragen und Soutane sind eine Garantie für Schlagzeilen, nicht nur in der Boulevardpresse. Spielfilme und Serien über Priester, die sich zwischen der Liebe zu einer Frau und der Liebe zu Gott entscheiden müssen, werden zum Kassenschlager. Die katholische Kirche würde das Problem gerne verschweigen, Tatsache ist aber, dass viele Tausende von Priestern weltweit ihr Amt wegen des Zwangszölibats aufgegeben haben. Dabei nahmen nur die wenigsten ein entwürdigendes Laisierungsverfahren auf sich. Nur durch einen solchen Prozess, eröffnet auf Diözesanebene, verhandelt von der römischen Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung, die ihre Empfehlung schließlich dem Papst zur offiziellen Entscheidung vorlegt, kann die Ungültigkeit der Weihe festgestellt und ein Priest