: Hubert Wolf
: Zölibat 16 Thesen
: Verlag C.H.Beck
: 9783406741869
: Beck Paperback
: 1
: CHF 9.80
:
: Christliche Religionen
: German
: 190
: Wasserzeichen/DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: PDF/ePUB
Der Zölibat verpflichtet katholische Priester zur Ehelosigkeit. Trotz sexuellem Missbrauch durch Priester wird er bis heute als ein Grundpfeiler der Kirche verteidigt. Hubert Wolf zeigt dagegen, dass der Zölibat gar nicht so alt ist und es heute bereits verheiratete Priester gibt. Er hinterfragt die diversen Begründungen und findet gute Gründe dafür, den Zölibat endlich abzuschaffen. Sein kirchenhistorisch profunder, glasklar argumentierender Weckruf sollte auch im Vatikan gehört werden.
Die Ehelosigkeit der Priester wurde mit ihrer kultischen Reinheit begründet. Sie diente dem Schutz der Kirche vor Erbansprüchen legitimer Söhne und später zur Abgrenzung von den Protestanten. Noch von Johannes Paul II. wurde der Zölibat mit Verweis auf Jesus spirituell verklärt. Doch gehäufte Missbrauchsfälle lassen fragen, ob die priesterliche Ehelosigkeit immer heilsam ist. Hubert Wolf stellt die umstrittene Einrichtung rigoros auf den kirchenhistorischen Prüfstand. Er erklärt, wie es zum Zölibat kam, warum die alten Argumente nicht mehr ziehen und welche guten Gründe es heute dagegen gibt: Ausnahmen vom Zölibat haben sich bewährt, der Priestermangel könnte behoben und die Gefahr des Missbrauchs eingedämmt werden. In einem gibt Hubert Wolf den Fürsprechern des Zölibats allerdings recht: Mit seinem Wegfall könnte das klerikale System mit seiner Geringschätzung von «Laien» und Frauen insgesamt zur Disposition stehen. Und das wäre auch gut so.

Hubert Wolf ist Professor für Kirchengeschichte an der Universität Münster. Er wurde mit dem Leibnizpreis der DFG, dem Communicator-Preis und dem Gutenberg-Preis ausgezeichnet.<br>

1.

DAS TABU IST GEFALLEN


Priestermangel und Missbrauchsvorwürfe zwingen den Vatikan, über den Zölibat zu reden.


Rom, 4. April 2014. Der Bischof der brasilianischen Diözese Xingu, Erwin Kräutler, wird von Papst Franziskus zu einer Privataudienz empfangen.[1] Beide Männer küssen sich gegenseitig Hand und Ring, wie es in Lateinamerika bei einer Begrüßung üblich ist. Die Atmosphäre ist äußerst entspannt, und der Bischof berichtet dem Papst von der Situation der indigenen Bevölkerung im Amazonasgebiet: Neunzig Prozent der Gemeinden seiner Diözese können am Sonntag nicht regelmäßig Eucharistie feiern, siebzig Prozent sogar nur drei Mal im Jahr, weil es so gut wie keine Priester gibt. Dann erzählt Kräutler Franziskus von der Einweihung einer Kapelle in einer abgelegenen Pfarrei, zu der er als Bischof eigens angereist war. Als die Tür der kleinen Kirche geöffnet wurde, war Kräutler schockiert, denn es fehlte der Altar. Er habe sofort darauf hingewiesen, dass die Feier der Eucharistie doch das Zentrum des Glaubens und katholischen Gemeindelebens sei, darauf habe ihm die Gemeindeleiterin geantwortet, das sei auch ihr klar. «Aber wir haben ja nur zwei bis drei Mal im Jahr Eucharistiefeier, … also brauchen wir keinen Altar.»[2] Für die paar Mal könne man einen Tisch hereintragen.

Bischof und Papst sind sich einig, «da läuft etwas auseinander», es kommt im Amazonasgebiet zu einer «fatalen Entwöhnung von der Eucharistie».[3] Einunddreißig Priester können unmöglich achthundert Gemeinden in einem Gebiet größer als die Bundesrepublik Deutschland betreuen. Franziskus und der Bischof erörtern Lösungsmöglichkeiten. Kräutler erinnert an den Vorschlag des südafrikanischen Bischofs Fritz Lobinger, Gemeinden ohne Priester künftig durch «Teams of Elders», eine Art Ältestenrat, kollektiv leiten zu lassen und diese Männer und Frauen «dann auch zu ordinieren, damit sie mit ihren Gemeinden auch die Eucharistie feiern können».[4] Das Thema der Viri probati – also verheirateter, in Ehe und Beruf bewährter Männer, die zu Priestern geweiht werden sollen – kommt ebenfalls zur Sprache. Die Audienz endet mit dem berühmt gewordenen Satz des Papstes, die Bischofskonferenzen sollten ihm «mutige» Vorschläge machen.[5]

Eine Privataudienz in dieser Atmosphäre und mit einer derartig offenen Aussprache über die Themen Priestermangel, Zölibat und Weihe von verheirateten Männern und Frauen wäre unter den Vorgängern von Papst Franziskus kaum möglich gewesen. Der Zölibat galt als «strahlender Edelstein» in der Krone der Kirche, der grundsätzlich nicht infrage gestellt werden durfte.[6] Gute Katholiken sprachen nicht darüber. Und im Gespräch zwischen den Hirten und dem obersten Hirten war er ohnehin kein Thema. Wer es wagte, über die Zölibatsverpflichtung für Priester auch nur zu reden, dem wurde rasch die Rechtgläubigkeit abgesprochen. Das war ein Thema für kritische Theologen,[7] für die «Kirche von unten»,[8] für «abgefallene» Priester, die ihr Amt wegen einer Frau aufgegeben hatten,[9] für Priesterfrauen,[10] für Priesterkinder[11] und nicht zuletzt für Romane und Filme.[12]

Intime Einsichten in das Sexualleben der Engel mit Priesterkragen und Soutane sind eine Garantie für Schlagzeilen, nicht nur in der Boulevardpresse. Spielfilme und Serien über Priester, die sich zwischen der Liebe zu einer Frau und der Liebe zu Gott entscheiden müssen, werden zum Kassenschlager. Die katholische Kirche würde das Problem gerne verschweigen, Tatsache ist aber, dass viele Tausende von Priestern weltweit ihr Amt wegen des Zwangszölibats aufgegeben haben. Dabei nahmen nur die wenigsten ein entwürdigendes Laisierungsverfahren auf sich. Nur durch einen solchen Prozess, eröffnet auf Diözesanebene, verhandelt von der römischen Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung, die ihre Empfehlung schließlich dem Papst zur offiziellen Entscheidung vorlegt, kann die Ungültigkeit der Weihe festgestellt und ein Priest

FRONT COVER1
TITEL3
ZUM BUCH2
ÜBER DEN AUTOR2
IMPRESSUM4
INHALT5
1. DAS TABU IST GEFALLEN9
2. DIE SCHWIEGERMUTTER DES PETRUS16
3. ZÖLIBAT IST NICHT GLEICH ZÖLIBAT26
4. VORCHRISTLICHE URSPRÜNGE37
5. JESUS WAR KEIN STOIKER46
6. ÖKONOMISCHE WURZELN55
7. FLAGGE ZEIGEN IM GLAUBENSSTREIT62
8. AUCH PRIESTER HABEN MENSCHENRECHTE72
9. SPRUNG IN ANDERE SPHÄREN83
10. ES GEHT AUCH OHNE ZÖLIBAT90
11. IMMER MEHR AUSNAHMEN100
12. NEUES ZUR SEXUALITÄT109
13. KEIN DOGMA115
14. GEFÄHRLICHES VERSPRECHEN123
15. GÜTERABWÄGUNG137
16. DAS ALTE SYSTEM IST AM ENDE144
ANMERKUNGEN153
ZUM NACHLESEN177
PERSONENREGISTER188