Daniela wußte genau, daß es nichts weiter als Selbstmitleid war, das sie wie eine Woge überrollte. Die Verzweiflung erfüllte sie ganz, umschloß ihren Körper, als mauerte sie ihn ein. Sie hielt die Augen geschlossen, und drückte den Kopf gegen das Polster ihres Liegestuhls. Der Lärm, der durch den Garten brandete, erreichte ihr Ohr nicht.
Aber ein kleines, zaghaftes Stimmchen durchdrang ihre Qual.
»Tut das weh? Bist du darum so traurig?«
Daniela Krauss kam von weither zurück. Sie hatte Mühe, sich auf das Jetzt zu besinnen.
Vor ihr stand ein kleiner Bub, neben ihm hockte ein riesengroßer Hund, der größer war als der Knirps.
Daniela hatte schon eine schroffe Antwort auf der Zunge, wie immer, wenn sie Mitleid spürte.
Aber es waren riesengroße Kinderaugen, die sie ansahen. Sie las das Mitleid darin, aber es schmerzte nicht.
»Die Narbe in deinem Gesicht ist ganz rot, die tut bestimmt weh. Du hast auf deine Lippen gebissen. Das solltest du aber vielleicht nicht tun, sonst machst du die auch noch kaputt.«
Es mußte eine Ewigkeit vergangen sein, daß sie mit einem Menschen in einem normalen Ton gesprochen hatte. Seit dem Unfall sprach sie überhaupt nicht, oder in einem abweisenden, ja patzigen Ton. Es war leichter, niemanden an sich heranzulassen, als das verdammte Mitleid, das sie ebenso haßte wie die entsetzliche Narbe, die ihr einstmals so schönes Gesicht entstellte.
Aber seltsam, das Mitleid in den blauen Kinderaugen schmerzte nicht. Sie merkte nicht einmal, daß sich ihr Mund zu einem Lächeln verzog.
»Eigentlich schmerzt die Narbe nicht sehr. Ist es dein Hund? Er ist wunderschön.«
Zu ihr würde das niemand mehr sagen. Niemand würde sie mehr bewundernd anblicken. Im Gegenteil, vermutlich wandten sich die Menschen voll Grausen ab.
»Das ist doch egal. Ob er schön ist, meine ich.« Die hohe Kinderstirn krauste sich verächtlich. »Er ist sehr klug und ein toller Freund, das ist doch viel wichtiger, oder?«
Er pustete die Locke, die wie eine Sechs auf seiner Stirn lag, zurück. Breitbeinig stand er da. Ein kleiner, sehr selbstbewußter Bub, mit flachsblonden Haaren, die sich zu Locken ringelten, obwohl sie kurz geschnitten waren.
»Er heißt Florian.«
Sie hatte sich aufgesetzt, hielt die Hände locker auf dem Stoff ihres bunten Sommerkleides. Wenn sie aufstand, würde vermutlich sogar das Kind bemerken, daß es ihr viel zu weit geworden war.
»Ein hübscher Name.« Ihre Antwort klang lahm, und sie ärgerte sich einen Augenblick, überhaupt Antwort gegeben zu haben.
»Ja, nicht?« Auf seiner Nase leuchteten lustige Sommersprossen. Zu ihrem Selbstmitleid gesellte sich ein neuer, ziehender Schmerz. Es mußte wundervoll sein, wenn so ein Bub Mama sagte. Zu ihr! Aber das Glück würde sie nie haben. Sie würde nie heiraten. Welcher Mann wollte schon eine Frau mit einem entstellten Gesicht?
»Ich hab mir den Namen selbst ausgedacht. Weil ich nämlich gern Florian heißen wollte. Aber mein Vater sagt, daß geht jetzt nicht mehr, weil ich auf Johannes getauft bin. Johannes«, er stöhnte herzerweichend. Einen Moment sprang ein Lachen sie an. Das unglückliche Gesicht war aber auch zu drollig.
»Hast du schon mal so einen bescheuerten Namen gehört? Mein Großvater heißt so. Weil man dem eine Freude machen wollte, muß ich mich mein ganzes Leben über diesen blöden Namen ärgern. Mein Großvater ist ja sonst ganz prima, wirklich. Nur der Name. Aber ihn stört der Name natürlich nicht, weil er einfach Vater oder Großvater heißt. Die anderen sagen Herr Geheimrat zu ihm.«
»Ich finde den Namen Johannes sehr schön, tut mir leid, wenn ich nicht mit dir einer Meinung bin. Es gibt viele berühmte Männer, die Johannes hießen.«
»Du meinst den aus der Bibel?«
Er ließ sich einfach auf den roten Kies fallen, kreuzte die Beine, die deutliche Spuren von dornigen Zweigen aufwiesen. Der Hund ließ sich neben ihn fallen, legte den dicken Kopf auf seine Pfoten und sah m